Lindenau, Kirsten

Oper für Kinder – Oper mit Kindern

Zehn Jahre Opera Piccola an der Hamburgischen Staatsoper

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 2/2011 , Seite 44

Vier Tage vor der Premiere. Das bedeutet: So langsam wird es ernst. An diesem späten Nachmittag wuseln im Bühnensaal der Hamburger Kampnagel-Kulturfabrik zahlreiche Kinder und Jugendliche herum, auf den verschiedenen Ebenen der Bühne, davor und gegenüber in den Platzreihen. Seitlich der Bühne haben die Instrumentalisten Platz genommen und wiederholen immer wieder kurze vertrackte Partien. Es ist Probenzeit. Für diesen Tag ist zwar kein vollständiger Operndurchlauf angesetzt und die SängerInnen sind auch noch in zivil, doch die „gelbe“ Gruppe – die Premierenbesetzung, die sich mit der „blauen“ Gruppe bei den Aufführungen abwechselt – hat alles im Kopf. Das kann man spüren, wenn man sie aufmerksam beobachtet. Jeder begleitet in seinem Inneren, was der andere singt, und unterstützt das Spiel mit Körperbewegungen.
Sie sind tief in die Materie eingetaucht. Seit einem Dreivierteljahr beschäftigen sich ­Hamburger SchülerInnen mit der Oper Die Schneekönigin des Italieners Pierangelo Valtinoni nach dem gleichnamigen Märchen von Hans Christian Andersen. Es ist das perfekte Stück zum zehnjährigen Geburtstag der Kinderopernreihe der Staatsoper Hamburg. Denn es erzählt vom Reifen und Erwachsenwerden sowie von der Glücksquelle Freundschaft. Bei der Arbeit am anspruchsvollen Projekt „Oper für Kinder – Oper mit Kindern“ stand von Anfang an der Ernstfall einer rich­tigen Opernaufführung auf dem Programm. Die Anforderungen an Ausdauer, Sorgfalt und Zuverlässigkeit im Team waren und sind hoch. Für kleine Menschen von sieben oder acht Jahren ist das, was hier zu leisten ist, wahrlich keine Selbstverständlichkeit.
Alles ist so ernst wie im echten Leben. Wahrscheinlich macht es den jungen KünstlerInnen auch deshalb so viel Freude. Denn obwohl die Opera Piccola eine deutlich pädagogische Unternehmung ist, trägt die eigentliche Tätigkeit eben doch nicht den Charakter des pädagogischen „Als-ob“. Langfristig zielt das Konzept Kinderoper auf das echte Leben der jetzt noch jungen, teilweise sehr jungen Leute zwischen sieben und 19 Jahren. Man hofft, ihnen den Zugang zu Musik und Theater zu erleichtern und die Schwelle für sie möglichst niedrig zu legen: auf dass sie mit der gleichen Selbstverständlichkeit in die Welt der Musik hineinwachsen, mit der man beim Erwachsenwerden in neue Rollen hi­neinwächst.
Um das zu befördern, strengen sich seit Jahren eine Menge Menschen an, in erster Linie natürlich die Hamburger SchülerInnen. Ein wenig Statistik aus den vergangenen zehn Jahren soll das belegen: 531 Kinder auf der Opernbühne, 371 Jugendliche im Orchester, zehn zeitgenössische Stücke von neun Komponisten, 120 Vorstellungen und über 3200 Probenstunden. In der ersten Spielzeit 2001/ 02 hat die Opera Piccola Hans Werner Henzes Pollicino auf die Bühne gebracht. Im Jahr darauf Cinderella von Peter Maxwell Davies. Große Namen!
Die Arbeit beginnt jede Saison im Juni mit dem Vorsingen der Kinder. Die Interessenten müssen erste Gesangserfahrungen mitbringen. Nach den Sommerferien geht es los mit den Gesangsproben, im Herbst folgen die szenischen Proben und ab Mitte Januar verlagert sich die abschließende Probenarbeit auf die Kampnagelbühne: den Ort der Aufführungen. Im Februar und März ist es dann soweit: Die jungen Künstler stehen im Rampenlicht. Die MusikerInnen stammen ebenfalls aus Hamburg und Umgebung und spielen in Schul- und Jugendorchestern. An der jüngs­ten Produktion Die Schneekönigin sind 55 Kinder zwischen acht und sechzehn Jahren beteiligt. Einige haben schon mehrfach mitgewirkt. Schließlich bekommen sie exquisiten Unterricht durch die Profis der Staatsoper. Die Sängerin der Schneekönigin ist dabei, sich nach den Erfahrungen in der Opera Piccola auf die große Oper vorzubereiten. Sie studiert jetzt Gesang.
Seit 2004 gibt es eine zusätzliche institutionelle Verankerung der Kinderoper, die den Nachwuchs sichern hilft, und zwar die Jugendopern Akademie, die von der Hamburgischen Staatsoper und der Jugendmusikschule getragen wird. Hier lernen die Kinder und Jugendlichen Tanz, Gesang, Darstellendes Spiel und Pantomime. Finanziell wird die Kinderopernreihe von der Hamburger Sparkasse und der Stiftung zur Förderung der Hamburgischen Staatsoper unterstützt.
Die Probe läuft jetzt seit drei Stunden und es geht auf acht Uhr abends. Der musikalische Leiter, der amerikanische Dirigent Benjamin Gordon, hat trotzdem Zeit für ein Gespräch. 400 singende und musizierende Kinder hat er mittlerweile auf ihre Auftritte vorbereitet und mich interessiert, ob er sich dabei mehr als Lehrer oder mehr als Musiker fühlte. Er denkt nach und sagt: 99% Lehrer. Auf meine Frage, was die Arbeit mit den Kindern von der mit Profi-Musikern unterscheidet, lautet die Antwort: „Den Kindern darf ich noch etwas sagen. Einen Rat für den besten Fingersatz geben. Aber nie würde ich sie auf saubere Intonation drillen, wenn es mal nicht so klappt. Ich will, dass sie Musik fühlen und empfinden lernen. Alles andere kann man üben.“ – Auf in die zweite Dekade.

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