Hensel, Fanny

Ostersonate für Klavier

Urtext, Partitur und Faksimile, hg. von Marie Rolf, mit einem Vorwort von R. Larry Todd

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2024
erschienen in: üben & musizieren 5/2024 , Seite 60

Die Geschichte der 1828 komponierten Ostersonate ist genauso spannend wie diese hervorragende Neuausgabe. Bei der Erstein­spielung 1972 durch Eric Heidsieck wird die Sonate Felix Mendelssohn zugeschrieben und erst genaue Studien des Manuskripts durch Angela Mace 2010 in Paris belegen, dass es sich um die Handschrift von Fanny Mendelssohn, später Hensel, handelt.
Die beiden Geschwister Fanny und Felix Mendelssohn probten 1828 die damals vergessene Matthäus-Passion Bachs, welche Felix dann im März 1829 in Berlin zur gefeierten Wiederaufführung brachte. Dies hinterlässt bei der damals erst 23-jährigen Komponistin an verschiedenen Stellen in der viersätzigen Sonate Spuren. Im zweiten Satz erklingt eine mit Chromatik durchsetzte, ausdrucksstarke Fuge und das „Allegro con strepito“ des Finalsatzes kann mit seiner markanten Rhythmik, den vielen für diese Zeit überraschend dissonanten Akkordschlägen und den raschen Tremolos in Bass­lage durchaus als programmatische Vertonung der Kreuzigung Christi gesehen werden.
Fast heiter und eher an die Kunstlied-Komponistin erinnernd wirkt der Kopfsatz, komponiert als freier Sonatenhauptsatz. Ein bewegtes, aus vielen Staccato-Akkorden gestaltetes Scherzo, mit an den späten Beethoven anklingenden Modulationen, bildet den spielfreudigen dritten Satz. Das dramatische Finale endet mit einem ruhigen, fast hymnischen, im „tranquillo“ ausklingenden „Agnus dei“. Ab Takt 165 gibt es zusätzlich eine zweite Version mit leichten Abänderungen in diesen abschließenden 80 Takten.
Es ist nicht nur interessant, sondern aufschlussreich und hilfreich, dass der Notenausgabe eine Ablichtung der vollständigen Handschrift beiliegt. MusikwissenschaftlerInnen, welche die Handschrift der Komponistin kennen, dient sie als Beleg der Urheberschaft. Für die InterpretInnen ist es eine gültige Quelle, um manchem nachzugehen, was im Notentext durchaus Fragen aufwerfen könnte: ungewöhnliche Tempowechsel und Klanglagen, überraschende Dissonanzen und verschiedene Dynamik­angaben.
Im ausführlichen Vorwort schildert R. Larry Todd die spannende Geschichte der Ostersonate und liefert zahlreiche wichtige Daten und Details. Ein Geleitwort der Herausgeberin Marie Rolf geht auf die Edition näher ein. Ergänzt wird die Ausgabe durch einen vierseitigen kritischen Bericht (dieser allerdings nur in Englisch).
Neben den Klaviersonaten in c-Moll, g-Moll und der „Sonata o Capriccio“ in f-Moll ist diese wunderschöne, pianistisch ansprechende und in der Thematik ganz individuelle Ostersonate nun endlich der richtigen Komponistin Fanny Hensel zugeschrieben. Durch solch eine vorbildliche Notenausgabe wird sie sicher InterpretInnen finden, die Interesse haben, sich auch jenseits des gängigen Konzertrepertoires zu bewegen und spannendes Altes neu zu entdecken.
Christoph J. Keller