Kranefeld, Ulrike / Kerstin Heberle

Passungsprozesse im Musikunterricht

Videobasierte Fallanalysen zur Differenzbearbeitung in musikpädagogischen Angeboten der 5. und 6. Klasse

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Waxmann, Münster 2020
erschienen in: üben & musizieren 1/2021 , Seite 60

Die Videografie hat sich in den vergangenen Jahren zu einer wichtigen Methode unterschiedlicher Forschungsstränge ent­wickelt. Sie ermöglicht, Unterrichtssituationen mit der darin stattfindenden Interaktion und Kommunikation mit Hilfe von Videodaten interpretativ zu untersuchen.
Im vorliegenden Buch werden die Ergebnisse einer Studie vorgestellt, die der Frage nachgeht, ­inwiefern es weiterführenden Schulen gelingt, die bisherigen musikbezogenen Erfahrungen, die Schülerinnen und Schüler in der Grundschule gesammelt haben, im neuralgischen Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule aufzugreifen und zu berücksichtigen.
Ziel ist eine Tiefenanalyse des Unterrichts hinsichtlich adaptiver Lernsituationen in ihrem Zusammenspiel von Planungs- und Handlungskompetenz der Lehrenden und den entsprechenden unterrichtlichen Interaktionsmustern. Das Vorhaben verbindet überzeugend mittels mehrperspektivischer Unterrichtsforschung eine Interviewstudie mit Lehrenden und SchülerInnen mit einer videobasierten Unterrichtsanalyse.
Im ersten Teil des Buchs wird eine Fokussierung der Forschungsperspektive „Passung“ vorgenommen und die Auswahl von Schlüsselszenen, die später einer Mikroanalyse unterzogen werden sollen, sowohl theoriebasiert als auch in Auseinandersetzung mit dem Videomaterial begründet. Der kurze Überblick über die eingesetzten Analysemethoden ist dabei sehr hilfreich. Die lokale Begrenzung auf drei Schulen im Ruhrgebiet irritiert zunächst, hängt aber mit dem Projekt „AdaptiMus“ zusammen. Spätestens bei der Vorstellung der beforschten musikpädagogischen Angebote wird deutlich, dass es sich um Formate handelt, die sowohl konzeptionell als auch auf Unterrichtsebene in besonderer Weise auf unterschiedliche musikbezogene Lernvoraussetzungen der SchülerInnen reagieren.
Im umfangreichen Hauptteil des Buchs werden sieben exemplarische Fallanalysen zu Praktiken der Passung präsentiert. Die Kapitel sind in unterschiedlichem Maße darauf ausgerichtet, Strukturen und Interaktionsmuster von Passungsprozessen im Material aufzudecken und theoriegeleitet zu reflektieren. Jede Fallanalyse kann ohne den Zusammenhang der umgebenden Fallanalysen verstanden werden. Allerdings ist die Kenntnis der Konzeption der beforschten Formate hilfreich. In der Analyse des Videomaterials ergänzen sich sequenzanalytische Verfahren der praxistheoretisch fundierten Unterrichtsforschung und Methoden des offenen und selektiven Kodierens.
Das Buch liefert in elaboriertem Sprachduktus nicht nur hochinteressante Ergebnisse zu Passungsprozessen im Musikunterricht, sondern gibt auch immer wieder Einblick in zentrale Schritte des Forschungsprozesses.
Karl-Friedrich Mielke