Manhart, Thomas

Piano goes online

Videokonferenzen und Computerflügel machen Klavierunterricht über eine Distanz von 9.200 Kilometern möglich

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 4/2013 , Seite 20

Professoren der Universität Mozarteum Salzburg sind über das Internet mit ihren Klavierschüle­rinnen und -schülern in China und Japan in Kontakt. Nach Meister­kursen und Vorselektionen wurden auf diesem Weg sogar schon Zulas­sungsprüfungen für chinesische Studierende abgehalten.

Das Klavier des Lehrers steht in Österreich, während die Schülerin 9200 Kilometer entfernt im japanischen Kobe mit dem zweiten Satz von Beethovens „Appassionata“ beginnt. Eine Stunde später wird per Videokonferenz die Leitung ins 7700 Kilometer entfernte Peking angewählt und von Salzburg aus ein Nachwuchspianist in der chinesischen Hauptstadt unterrichtet. Diese spezielle Art des Fernstudiums ist alle zwei bis drei Wochen an der Universität Mozarteum Salzburg zu beobachten. Musikerinnen und Musiker der beiden asiatischen Partnerinstitutionen besuchen quasi einen Online-Meisterkurs und erhalten über das Internet wertvolle Ratschläge ihrer Mozarteum-Professoren. Und das nicht nur technisch und musikalisch, sondern begleitet von den entsprechenden Bildern in Echtzeit, die es dem Lehrenden erlauben, auch korrigierend auf die Körperhaltung und den physiologischen Teil des Klavierspiels einzugreifen.
Die Übermittlung erfolgt durch HD-Kameras und große Live-Monitore auf beiden Seiten der Verbindung. Die Videoübertragung von Klängen und Bildern – eine Art „Piano-Skypen“ – ist am Mozarteum aber nur einer von mehreren Aspekten des technischen Fortschritts beim künstlerischen Fernunterricht. Zugleich wurde eine Kooperation mit dem renommierten Wiener Klavierhersteller Bösendorfer begonnen, der über jahrzehntelange Erfahrung im Bereich der Computerflügel verfügt und jüngst ein System namens CEUS (Create Emotions with Unique Sound) entwickelt hat. Es kann in jeden Flügel eingebaut werden und basiert auf einer Technik, die es dem Pianisten erlaubt, ein Stück zu spielen und dieses Stück durch Knopfdruck vom Klavier noch einmal spielen zu lassen – die Tasten bewegen sich wie von Geisterhand, genauso die Pedale.
Es geht dabei jedoch nicht um eine Audioaufzeichnung, sondern um die Speicherung von Steuerimpulsen, die erneut abgerufen werden können und die Erzeugung des identischen Klangresultats zur Folge haben. Ähn­liches gab es schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit einem auf Lochstreifen basierenden System, das uns bereits vor der Schallplattenära einige Aufzeichnungen von Pianisten jener Zeit hinterlassen hat, von Vladimir Horowitz bis Arthur Rubinstein. Nun aber, mit verbesserter digitaler Technik, ergibt sich eine Qualität, die die Wiederholung vom Original nicht mehr unterscheidbar macht.
Am Mozarteum entstand nun eine Idee, die diese Möglichkeiten entscheidend weiterführt: Die elektronischen Steuerungsinformationen werden, statt sie zu speichern, live per Internet verschickt – und so spielt der Flügel beim Professor in Salzburg und wird dabei von der Klavierschülerin in Peking „gesteuert“. Eine Veränderung des Klangs, wie sie bei einer Mikrofonübertragung unvermeidlich wäre, gibt es nicht.
Außer der klassischen Unterrichtssituation gibt es eine Reihe weiterer pädagogischer Nutzungsmöglichkeiten. „Wir halten per Videokonferenz nicht nur regelmäßig Meisterkurse ab, wir haben damit auch eine Vorselektion von Kandidaten für die nur begrenzt aufnahmefähigen Klassen unserer Internationalen Sommerakademie vorgenommen. Und es gab sogar schon eine Zulassungsprüfung. Dabei war ich selbst als Einziger vor Ort bei den Studienanwärtern in Peking, während sich meine drei Professorenkollegen den Reiseaufwand ersparten und hier in Salzburg vor dem Bildschirm saßen“, erzählt Klaus Kaufmann, Leiter der Abteilung für Tasten­instrumente an der Universität Mozarteum. Gemeinsam mit Mozarteum-Rektor Reinhart von Gutzeit und Bösendorfer-Marketing­direktor Simon Oss ist Kaufmann ein Initiator der CEUS-Kooperation, die auch unter dem Motto „Piano goes online“ bzw. unter dem – in der Partnerschaft mit Peking begründeten – Begriff Austrian-Chinese Music University (ACMU) firmiert.
Klaus Kaufmanns Erfahrungen mit dem CEUS-Fernunterricht sind nach anfänglichen Schwierigkeiten mit den Computerprogrammen mehrheitlich positiv: „Wir haben vor Kurzem zwischen Wien und Salzburg eine neue Software getestet, die absolut perfekt ist. Wenn es bei den sogenannten MIDI-Daten der früheren Version eine Störung gab, was vor allem mit China immer wieder vorgekommen ist, dann war sofort Ende der Vorstellung, weil alle Tasten hängen geblieben sind. Jetzt kommen die Daten aber nicht mehr ,einzeln‘, sondern immer als ganzes Datenpaket – und bis dieses Paket ,aufgebraucht‘ wurde, ist schon das nächste Paket da.“
Gibt es eigentlich neben der technischen Komponente auch im künstlerischen Bereich neue Anforderungen an den Unterricht, wonach der Klavierprofessor als Online-Lehrer anders agieren muss? „Für mich ist es fast genauso, als ob der Studierende im gleichen Raum sitzen würde. Verglichen mit der reinen Videokonferenz bewegen sich die Tasten bei CEUS wirklich genauso, wie sie in China gespielt werden, und man kann viel besser korrigierend eingreifen, als wenn die Töne nur über das Mikrofon zu hören wären“, sagt Klavierprofessor Kaufmann. „Natürlich kann diese Form des Unterrichts die persönliche Präsenz nicht komplett ersetzen und bleibt immer ein Kompromiss, aber es ist ein sehr guter Kompromiss. Vor allem als Vorbereitung für jemanden, der am Mozarteum studieren will. Oder umgekehrt, wenn meine Kollegen nach China fahren, um dort eine Meisterklasse zu halten. Dann nehmen einige der dortigen Studierenden bereits zuvor Online-Stunden und der jeweilige Professor kann vor Ort ganz anders in den Unterricht einsteigen, als wenn es noch gar keinen Kontakt gegeben hätte.“
Die Begeisterung für die neue, störungsfreiere Form der Datenübertragung geht übrigens so weit, dass Klaus Kaufmann für die zweite Oktober-Hälfte eine ganz besondere CEUS-Demonstration geplant hat: ein Konzert in der Universität Mozarteum, bei dem sich nur die eine Hälfte der Mitwirkenden in Salzburg befindet, während die andere Hälfte aus Wien zugeschaltet wird. Auf dem Programm stehen u. a. die Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach. „Im Zuge der Kooperation wird im Herbst unser Studienkonzertsaal mit neuen Flügeln ausgestattet und in Bösendorfer-Saal umbenannt. Das ist ein schöner Anlass, um mit einer Art Pingpong-Spiel zwischen den Pianisten in Wien und Salzburg die Möglichkeiten des CEUS-Projekts aufzuzeigen. Ein derartiges Konzert ist vermutlich nicht nur am Mozarteum, sondern weltweit eine Premiere“, freut sich Kaufmann auf die Bewährungsprobe vor Publikum

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