Proksch, Michael

Piano Poetry

34 Klavierstücke für alle Lebenslagen, mit CD

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2013
erschienen in: üben & musizieren 5/2013 , Seite 57

„Klavierstücke für alle Lebens­lagen“ – gibt es so etwas? Wenn es nach Michael Proksch geht, schon. Wie der Pianist, Klavierpädagoge und Komponist in seinem Vorwort betont, soll seine Musik Stimmungen hervorrufen und die Ausdrucksmöglichkeiten des Instruments erkunden. Oft geben Titel, programmatische Hinweise und Spielanweisungen eine Hilfestellung, welche Atmosphäre und Emotion zur Geltung kommen soll.
Assoziationen sollen hervorgelockt und zu einer differenzierten wie lebendigen Gestaltung und Klanggebung inspiriert werden – auch durch die beiliegende CD mit den Einspielungen des Komponisten. Zudem nutzt Proksch Elemente bekannter Stücke, um etwa den Spieler (in Anlehnung an Pachelbels berühmten Kanon in D-Dur) zum Fortspinnen einer Melodie auf einem sich wiederholenden harmonischen Modell in der Bassstimme (Ostinato-Bass) herauszufordern. Anderswo gilt es, eine „aufsteigende“ Melodielinie zu erfinden, die zu den vorgegebenen Zweiklängen passt.
Das rhythmisch-stockende wie seufzende Muster des Lamento der Almirena „Lascia ch’io pianga“ aus Händels Oper Rinaldo nimmt Proksch als Grundlage
für eine „Frieden schließende“ Schlusswendung. Um zwei verschiedene Ausdrucksergebnisse geht es in „Winterstarre“ (das Harmoniefolgen aus dem „Winter“ von Vivaldis Vier Jahreszeiten verwendet) – einmal ohne Pedal und mit „unberechenbaren“ Akzenten, das andere Mal in einem großen Spannungsbogen mit Pedal und ohne Akzente. Eine weitere Adaption „händelt“ Sequenzen aus der g-Moll-Passacaglia von Händel, zu guter Letzt wird „eingeschlafen“ im Stile Saties.
Mit seinen „freien“ Stücken gelingt es Proksch, anhand prägnanter wie einfacher Parameter wie Tempi, Staccati, Ritardandi, Synkopen, Notenwerten, abfallenden Tonfolgen und Seufzermotiven, Intervallen, Rhythmen und Tonwiederholungen beispielsweise Ausgelassenheit und Freude, Behutsamkeit, Stolz, Wehmut, Sehnsucht und Mitgefühl, Traurigkeit, Wut und Ekstase, aber auch mystische Momente zu implizieren. Andere Fantasie- oder Charakterstücke spüren einem „stillen Leuchten“ oder „ersten Lichtblick“, einem „Gänseblümchen“, einem „Slapstick“ und Blues, einer Ecossaise (in einer „Biohof“-Version mit glücklichen Hühnern: „Ökos-saise“ genannt!), „Cinema Emotions“, einem „Sog“ und „Elfen auf Abwegen“ nach.
In variierenden Schwierigkeitsgraden hinsichtlich Technik, Vorzeichen und auch Ausdruck spricht Proksch zwar auch AnfängerInnen, insbesondere aber Fortgeschrittene am Klavier an. Seine Angaben zu Fingersätzen lassen Spielraum für das eigene Ausprobieren, jene zu Empfindungen geben Einblicke in die subjektiv-offenen Ausdruckswelten der Musik. Der Klavierband Piano Poetry wird jedoch seinem Namen besonders gerecht, wenn die „Dichtkunst“ des Spielers ge­fordert ist. Davon hätte man sich mehr gewünscht.
Christoph Guddorf