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Schmidt, Dörte

Plädoyer für selbstbewusste Quotenfrauen

Warten und Freiwilligkeit reichen nicht

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 4/2017 , musikschule )) DIREKT, Seite 02

Eine Quotenfrau zu sein, die Beförderung nicht redlich verdient zu haben – von die­sem herabwürdigenden Komplex müssen sich Frauen distanzieren. Natürlich geht es auch bei Frauen um ihr Können – sonst wären sie nicht „im Spiel“! Dörte Schmidt plädiert für mehr selbstbewusste Quotenfrauen in Kultur und Medien.

In Kultur und Medien scheinen Frauen durchaus präsent, dürfen wir doch mittlerweile sogar Intendantenposten bekleiden oder Fußballspiele kommentieren. In der Regel findet man uns aber vor allem dort, wo weniger Einfluss zu nehmen oder weniger Ruhm zu erlangen ist – und weniger gut bezahlt wird. Gleichwohl sind wir nicht selten Vorzeigefiguren, das heißt eigentlich Quotenfrauen – auch ohne, dass es formelle Quoten gibt. Wir Frauen in solchen Positionen geben das allerdings ungern zu, weil wir befürchten, dadurch unsere so mühsam verteidigte Reputation zu beschädigen, die erarbeitete Qualifikation zu schwächen, derentwegen wir natürlich geschätzt und engagiert sein wollen. Aber: So kann man uns nach vorne schieben, ohne dass klar würde, wie die Verhältnisse wirklich sind – und auch noch stolz drauf sein, als wäre Gleichstellung (das heißt die Wahrung des Grundgesetzes) in jedem Einzelfall eine besondere Leistung.

Gleichberechtigung unter Beweispflicht

Das sollten wir nicht erlauben. Denn: Es steht nicht sehr gut mit der Geschlechtergerechtigkeit in Kunst, Kultur und Medien. Das zeigen die Zahlen, die in der jüngst vom Deutschen Kulturrat publizierten Studie* ermittelt wurden. Dies ist nicht die erste und einzige aktuelle Studie, die auf das Problem hinweist. Noch mehr als Studien jedoch haben mich die Reaktionen von Studentinnen und Kolleginnen davon überzeugt, wie nötig die öffentliche Debatte ist. Die Sorge, dass gezielte Maßnahmen zur Gleichstellung sie – die es doch schon so weit gebracht hatten – fachlich wie menschlich diskreditieren könnten, war allgegenwärtig. Es ist zwar nicht mehr opportun, Frauen explizit auszuschließen, aber eben auch noch lange nicht selbstverständlich, sie gleichberechtigt zu beteiligen. Und wenn wir uns weiterhin dauernd selbst auf den Prüfstand stellen, wird sich nichts ändern: Wir werden uns weiterhin nicht einfach nur in der Sache bewähren müssen, sondern sind gleichzeitig damit dauernd auch in der Pflicht zu beweisen, ob wir diese – uns anscheinend so freiwillig gewährte – Beteiligung auch verdienen.

Der Begabungsvorbehalt

Auf die Frage des Onlinemagazins Edge.org – gestellt an insgesamt 197 Wissenschaftler, Intellektuelle und Künstler –, welche Nachricht für sie in diesem Jahr wichtig war, antwortete die Schriftstellerin und Philosophieprofessorin Rebecca Newberger Goldstein mit einem ebenso scharfsinnigen wie eindringlichen Hinweis auf eine weitere Studie von Andrei Cimpian und Sarah-Jane Leslie und anderen, die in der Zeitschrift Science veröffentlicht worden war. Dort geht es darum, wie der Begabungsvorbehalt, das heißt das Stereotyp des Genies, die gleichberechtigte Betei­ligung von Frauen untergräbt. Frauen, so kam dabei heraus, haben dort schlechte Karten, wo ein Potenzial, eine Begabung, also Option auf Zukünftiges in Anschlag gebracht werden kann und schwerer wiegt als das bisher Geleistete. Das Frappierende an diesem Ergebnis ist, dass dies in MINT-, aber eben auch in vielen Nicht-MINT-­Fächern und besonders in den Künsten (ausdrücklich nennt Newberger Goldstein Komposition und Musiktheorie) und der Philosophie zur Benachteiligung von Frauen führt.
Wenn man dies weiß, muss man auch bei den aktuellen Debatten über die Verfassungsmäßigkeit der Frauenförderung im nordrhein-westfälischen Landesbeamtengesetz mehr als skeptisch werden, wenn das Oberlandesgericht NRW in der Pressemitteilung zu seinem Urteil vorschlägt, statt einer Quotenregelung den Qualifikationsnachteil von Frauen durch die Berücksichtigung von „Befähigungs- und Eignungsmerkmalen“ wie Begabung, Persönlichkeit, Charakter oder Allgemeinwissen auszugleichen – gerade solche Optionen auf persönliche Potenziale, so haben Cimpian und Leslie zeigen können, wenden sich nicht selten gegen Frauen.

Der gute Wille hilft nicht

Quoten helfen, die Lage zu entemotionalisieren – und das vor allem scheint dringend nötig. Wenn sich die Geschlechterverhältnisse in den Entscheidungsebenen ändern, wird sich überdies zeigen, welche Auswahlmechanismen gender-indiziert sind und welche für Minderheiten insgesamt gelten. Intelligente Quoten-Regelungen können hier helfen. Mehr Sorgen als die mögliche Bevorzugung der Falschen, wie sie in allen Gremien aus den unterschiedlichsten Gründen vorkommen können, macht mir dabei, dass sich Maßnahmen zuweilen gegen die richten, deren Gleichberechtigung sie fördern sollen: So kann der Zwang zu paritätischer Besetzung von Gremien dazu führen, dass Frauen überproportional viel administrative Arbeit leisten müssen, was dann tatsächlich ihrer fachlichen Reputation schaden kann. Schon jetzt sind Frauen vor allem in Gremien vertreten, die viel Arbeit machen, während die besonders einflussreichen Gremien einen Männer-Überschuss aufweisen.
Auch supplementäre Förderungen wie Bewerbungs- und Verhandlungscoachings etc., so gut sie auch in vielen Fällen gemeint sind, bergen zunehmend die Gefahr, Frauen von dem abzuhalten, was sie eigentlich in der Sache qualifiziert, und vermittelt ihnen überdies, das Ganze ließe sich auf der individuellen Ebene lösen: Sie müssten sich nur den herrschenden Verhältnissen besser anpassen, dann wird das schon. Auf diesen Fehlschluss wies kürzlich auch die Verhaltensökonomin Iris Bohnert (Harvard University) in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung hin: „Es geht darum, die Bedingungen zu verändern, nicht die Personen.“ Das gilt für beide Seiten, die der Bewerberinnen wie die der Personalentscheider. Auf die Frage: „Der gute Wille hilft nicht?“, antwortete Bohnert denkbar knapp: „Überhaupt nicht.“
Auch wenn wir es alle nicht gern hören: Ohne Quoten wird es nicht gehen, wenn wir die Verhältnisse ausgleichen wollen. Wir sollten uns nicht weigern, Quotenfrauen zu sein und an der Gestaltung von intelligenten Quotenregelungen mitzu­wirken, gerade weil wir um unseres Könnens willen geschätzt werden – das werden wir, denn sonst wären wir gar nicht „im Spiel“.

* Gabriele Schulz, Carolin Ries und Olaf Zimmermann: Frauen in Kultur und Medien. Ein Überblick über aktuelle Tendenzen, Entwicklungen und Lösungsvorschläge, www.kulturrat.de/publikationen/frauen-in-kultur-und-medien

Zuerst erschienen in Musikforum 1/2017: „Frauen und Musik“. Mit freundlicher Genehmigung des Verlags Schott Music.