Hamer, Jens

PopPiano

Praktische Beispiele zur Umsetzung von Popmusik auf dem Klavier (Teil 1)

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 1/2019 , Seite 24

Popmusik ist vielfältig – ebenso vielfältig sind mögliche Zugänge zu ihr. In zwei aufeinander folgenden Beiträgen gibt Jens Hamer anhand von vier verschiedenen Musizier­grundlagen Anregungen für einen kreativen ­pianistischen Umgang mit vorgefundenem Material. Teil 1 beschäftigt sich mit ausnotierten Versionen und Leadsheets von Popsongs.

Hinsichtlich der Arbeit mit Popsongs an Musikschulen plädiert Harald Huber, Professor für Theorie und Geschichte der Popularmusik in Wien, in seinem Beitrag in üben & musizieren 2/2018 dafür, „Songs als Songs“ anzuerkennen und konstatiert, dass „durch die inst­rumentale Transformation […] die lyrische Komponente“, also „die Verbindung von Literatur, Musik und bildender Kunst, von Sprache, Stimme und Performance“ verloren gehe.1 Auch Laura Bollack spricht sich im selben Heft für das „authentische“ Musizieren von Popsongs im Bandkontext aus und stellt zudem überzeugend dar, welche Potenziale die Erarbeitung vorrangig über das Hören und Nachspielen bietet.2
Beiden möchte ich zustimmen, aber zugleich ergänzen, dass ich die Adaption von Popsongs für das eigene Instrument trotz des dadurch bedingten Wegfalls wesentlicher Songelemen­te für eine sinnvolle Form musikalischer Praxis halte, die von KlavierschülerInnen zudem explizit nachgefragt wird. Wenn Popsongs auf instrumentenspezifisch geeignete Weise umgesetzt werden, ist es durchaus möglich, die Aura des Originals hervorzurufen, da im Hintergrund die – unbedingt erforderliche – Hörerfahrung mit dem Song in das eigene Spiel hineinwirkt. Zudem kann eine solche in guter Tradition nicht nur des Jazz, sondern auch etwa der Paraphrasen von Opern- und Liedmelodien insbesondere des 19. Jahrhunderts stehende Praxis einen eigenständigen künstlerischen Rang beanspruchen.
Wie aber nun vorgehen, wenn man einen bestimmten Popsong auf dem Klavier spielen bzw. einen Schüler oder eine Schülerin dazu anleiten möchte? Ist Hören und Nachspielen unter weitgehendem Verzicht auf Notation in jedem Fall der beste Weg? Es gibt SchülerInnen, die sich zuhause nach Gehör selbstständig einen Song erarbeitet haben und damit in die Unterrichtsstunde kommen, um ihn der Lehrkraft vorzuspielen. Das ist eine wunderbare Basis, um mit dem Schüler oder der Schülerin auch im Unterricht hörbasiert weiterzuarbeiten – vorausgesetzt, die Lehrkraft kennt den Song gut genug oder sorgt dafür, dass ihr bei nächster Gelegenheit eine Aufnahme zur Verfügung steht, die sie sich alleine zu Hause oder gemeinsam mit dem Schüler oder der Schülerin in der nächsten Stunde anhören kann. Wenn andererseits SchülerInnen (noch) nicht in der Lage sind, sich eigenständig auditiv Songs zu erschließen, oder wenn sie bevorzugt visuell lernen, kann eine wöchentliche Unterrichtszeit von 30 Minuten bisweilen zu kurz erscheinen, um mittels einer zeitintensiven rein hörbasierten Vorgehensweise ausreichende Fortschritte zu erzielen.
Gerade dann, wenn Lehrkraft und SchülerIn eine „klassische“ Ausbildung gewohnt sind, liegt die Idee nahe, sich nach verfügbaren Notenausgaben umzusehen. Doch leider erhält man vielfach Notenmaterial, das in der Tat „nach korrigierenden Eingriffen“3 verlangt, da es bei exakter Orientierung daran zu durchwachsenen Klangresultaten führt. Wenn man aber bereit und fähig ist, mithilfe des Abhörens von Aufnahmen solche Eingriffe vorzunehmen, spricht nichts gegen die Verwendung von ausnotierten Versionen als Spielhilfe auf dem Notenpult.

1 Harald Huber: „Der Song. Anmerkungen zur Geschichte, Wirkungsweise und Didaktik der erfolgreichsten Gattung der Musik“, in: üben & musizieren 2/2018, S. 6-9, hier: S. 9.
2 Laura Bollack: „Wo Musik hingehört. Plädoyer für einen hörbasierten Umgang mit Popsongs im Instrumental- und Vokalunterricht“, in: üben & musizieren 2/2018, S. 18-22.
3 Huber, a. a. O., S. 9.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 1/2019.