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Hamer, Jens

PopPiano

Praktische Beispiele zur Umsetzung von Popmusik auf dem Klavier (Teil 2)

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 2/2019 , Seite 34

Popmusik ist vielfältig. In zwei ­aufeinander folgenden Beiträgen gibt Jens Hamer Anregungen für einen kreativen pianistischen Umgang mit vorgefundenem Material. Teil 2 nimmt Chordsheets von Popsongs sowie historische Satzmodelle als Ausgangsbasis.

Nach der Auseinandersetzung mit Notenvorlagen unterschiedlichen Umfangs in Teil 1 die­ses Beitrags möchte ich nun Wege aufzeigen, wie sich auch ohne Noten Popmusik – mit und ohne Orientierung an bestimmten Songs – auf dem Klavier gestalten lässt.1 Als Einstieg in das Spiel nach einem Chordsheet gut geeignet ist der von Ornella De Santis 2012 im Finale des deutschen Auswahlverfahrens zum Eurovision Song Contest knapp unterlegene Song Quietly.2 Die pianistische Begleitstruktur besteht zu Beginn aus einfachen Arpeggien (G / Em / G / Em / Am / Bm / C / G )3 – eine Technik, die in barocken Präludien häufig anzutreffen ist und leicht einen gleichmäßigen Puls erzeugt (NB 1).

Vom Arrangement zur eigenen Version

Eine solche Begleitung ließe sich unkomp­liziert anhand der Akkordsymbole eines vollständigen Chordsheets4 fortsetzen. Es lohnt sich allerdings, darüber nachzudenken, wie man der Dramaturgie des Songs im weiteren Verlauf folgen könnte. Wie ließe sich auf dem Klavier das Hinzutreten von Streicher-Sounds im zweiten Verse realisieren, wie der klang­liche Höhepunkt des Chorus angemessen herüberbringen? Für mich kommen verschiedene Mittel in Frage: Die (gesteigerte) Verwendung des rechten Pedals, das Einfügen von Sechzehnteln in die Arpeggienfigur bis hin zu einer deutlich freieren rhythmischen Ausgestaltung, die Ausweitung des bespielten Bereichs hin zu tieferen und höheren Registern sowie das Hinzufügen von Dissonanzen.
Eine grundsätzliche Frage stellt sich darüber hinaus immer wieder aufs Neue: Wie gehe ich, wie gehen meine Schülerinnen und Schü­ler mit dem Gesang um? Die Gesangsmelodie in die Klavierstimme zu integrieren, mag in einigen Fällen, so auch bei Quietly, einigermaßen gut funktionieren; in anderen Fällen wird das aber eher holprig klingen bzw. eine gute Begleitung erschweren. Ich halte es für erstrebenswert, sich darin zu üben, Klavier zu spielen und selbst zu singen – sehr geeignet zur Schulung der eigenen Fähigkeiten und natürlich auch als Vorbereitung auf die Begleitung von Sängerinnen und Sängern. Für alle, die lieber (noch) nicht selbst singen möchten, gibt es im Klavierunterricht aber weitere Möglichkeiten: Melodie und Begleitung können auf zwei Akteure aufgeteilt werden; auch kann man gelegentlich den Klavier­part zeitgleich zum Abspielen einer Aufnahme spielen.

1 Selbstverständlich dürfen die hier gezeigten Notenbeispiele trotzdem als Gedächtnisstütze auf dem Notenpult stehen.
2 Aufnahme mit Text unter www.youtube.com/ watch?v=HGujJPKXFu8 (Stand: 11.2.2019).
3 Transposition um einen Halbton abwärts.
4 z. B. unter https://tabs.ultimate-guitar.com/tab/misc_ unsigned_bands/ornella_de_santis_-_quietly_chords_ 1131582 (Stand: 11.2.2019).

Lesen Sie weiter in Ausgabe 2/2019.