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Scholz, Daniel S. / Stine Alpheis / Christine Sickert

Präventive Angebote sind wichtig

Wie steht es um die (mentale) Gesundheit von Musizierenden?

Rubrik: Gesundheit
erschienen in: üben & musizieren 2/2025 , Seite 42

Professionelle MusikerInnen stehen extrem unter Leistungsdruck und sind einem harten Konkurrenzkampf ausgeliefert. Sie zahlen einen hohen Preis, um von ihrer Musik leben zu können. Im Gegensatz zum Spitzensport wird ihre psychische Gesundheit im Berufsleben immer noch zu wenig thematisiert.

Viele Musizierende leiden unter gesundheitlichen Problemen wie schmerzhaften Verspannungen, eingeschränkter Bewegungsfähigkeit, Lampenfieber und Zukunftsängsten. Diese Einschränkungen können gravierende Folgen für das Musizieren haben und im schlimmsten Fall das Ende der Karriere bedeuten. Manfred Nusseck und KollegInnen führten eine multizentrische Längsschnittstudie durch und untersuchten das Gesundheits- und Präventionsverhalten von Studierenden an deutschsprachigen Musikhochschulen.1 An dieser Studie nahmen 288 Musikstudierende von fünf Musikhochschulen teil.
Die Ergebnisse zeigten, dass der Grundstein für gesundes Musizieren und das Präven­tionsverhalten bereits in der Ausbildung an der Musikhochschule gelegt werden muss. Denn knapp 30% der befragten MusikstudentInnen gaben zum ersten Erhebungszeitpunkt bereits an, mit spielbeeinträchtigenden Beschwerden in ihr Studium gestartet zu sein. Zudem zeigten Nusseck und KollegInnen, dass an den Hochschulen selbstverständlich MultiplikatorInnen ausgebildet werden sollten, die das erlernte Gesundheitsverhalten dann in die Musikschulen weitertragen.
Die Beschwerden der Studierenden teilten sich auf in 75% körperliche Beschwerden, 14% psychische Beschwerden und 11% körperliche und psychische Beschwerden kombiniert. Ein alarmierender Aspekt, der im Verlauf der Studie zum zweiten Erhebungszeitpunkt, dem dritten Semester, deutlich wurde, war, dass diese spielbeeinträchtigenden Beschwerden von knapp 30% auf 42% in der Stichprobe zunahmen. Die gute Nachricht der Untersuchung war, dass das Präventions- und Gesundheitsverhalten der Studierenden auch im Verlauf des Studiums stark zunahm. So nahmen zu Studienbeginn 50% der Studierenden Präventionsangebote der jeweiligen Musikhochschulen wahr. Zum dritten Semester waren es schon 80%. Diese Zahl blieb stabil bis zum vierten Erhebungszeitpunkt, dem siebten Semester.

Einschnitt durch die Corona-Pandemie

Anfang 2020 kam es zur Corona-Pandemie, diese hat auch MusikerInnen stark getroffen und deren psychische Gesundheit erheblich beeinflusst. Durch die Absage von Konzerten und Tourneen sowie die Schließung von Veranstaltungsorten verloren viele Musizierende ihre Haupteinnahmequellen: das Auftreten und die Möglichkeit mit ihrem Publikum direkt in Kontakt zu treten. Die plötzliche Unsicherheit und der Verlust sozialer Interaktionen auf und hinter der Bühne führten oft zu erhöhtem Stress, Angstzuständen und Depressionen.
Viele MusikerInnen mussten sich an neue digitale Formate anpassen, um weiterhin präsent zu sein, was zusätzlichen Druck und technische Herausforderungen mit sich brachte. Zudem fehlte die unmittelbare Rückmeldung und die soziale, direkte Verbindung zu ihrem Publikum, was für viele KünstlerInnen ein wichtiger Motivationsfaktor ist. Einige MusikerInnen nutzten jedoch die Zeit, um neue kreative Wege zu finden, um Musik zu produzieren und zu verbreiten, was zu einem Anstieg von ­Online-Konzerten und Streaming-Events führte.
Trotz dieser kreativen Lösungen war die psychische Belastung für viele erheblich, was die Notwendigkeit für gezielte Unterstützung und Hilfsprogramme in der Musikindustrie verdeutlicht hat. Aktuell führen diese Hilfsprogramme zu längerfristigen Folgeproblemen, da Teile der Unterstützungen zurückgezahlt werden müssen, die Einnahmen aber nicht überall wieder mehr geworden sind.

Zusammenhang von Selbstwert, Auftrittsangst und Depression

In dieser Zeit starteten wir mit der Lübecker Arbeitsgruppe Musizierendengesundheit eine groß angelegte Untersuchung zum psychischen Befinden mit einer Stichprobe von fast 300 deutschsprachigen MusikerInnen.2 Ausgangspunkt war die Beobachtung aus Daniel Scholz’ psychotherapeutischer Musizierendenpraxis, dass Menschen mit einem geringeren Selbstwert­gefühl stärker zu sozialen Ängsten neigen. Mithilfe der Fragebögen „Rosenberg Self-Esteem Scale“, „Kenny Music Performance Anxiety Inventory“ und „Beck Depression Inventory“ untersuchten wir die Zusammenhänge zwischen Selbstwertgefühl, Auftrittsangst und Depressivität bei Profi- und AmateurmusikerInnen und Studierenden.
Wir fanden heraus, dass insbesondere Musikstudierende ein signifikant niedrigeres Selbstwertgefühl im Vergleich zu angestellten Profis und Amateuren hatten. Im Vergleich zu angestellten Musikerinnen und Musikern zeigten die Studierenden auch ausgeprägtere Auftrittsängste. Aus einer Mediationsanalyse der Daten wurde ersichtlich, dass wenn ein geringes Selbstwertgefühl und Auftrittsangst zusammenkommen, die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung einer klinisch relevanten Depression signifikant steigt. Dieser Zusammenhang war insbesondere während der Corona-Pandemie verheerend, da dort Auftritte als Momente der korrigierenden Erfahrung, des Erfolgs und der Bestätigung, also als selbstwertdienliche Erlebnisse, wegfielen.

1 Nusseck, Manfred/Mornell, Adina/Voltmer, Edgar/ Kötter, Thomas/Schmid, Bertold/Blum, Jochen/Türk-Espitalier, Alexandra/Immerz, Anna, Fischinger, Timo/Spahn, Claudia: „Gesundheit und Präventionsverhalten von Musikstudierenden an deutschen Musikhochschulen. – Ergebnisse einer Multizenterstudie“, in: Nusseck, Manfred/Spahn, Claudia (Hg.): Gesundheit von Musikstudierenden. Beiträge aus dem Musikhochschulen-Netzwerk (DFG) „Gesundheit und Prävention“, Bochum 2023, S. 13-38, https://de.book-info.com/isbn/3-89733-589-1.htm (Stand: 5.3.2025).
2 Sickert, Christine/Klein, Jan Philipp/Altenmüller, Eckart/Scholz, Daniel S.: „Low Self-Esteem and Mu­sic Performance Anxiety Can Predict Depression in Musicians“, in: Medical problems of performing artists, 37(4), 2022, S. 213-220, https://doi.org/10.21091/mppa.2022.4031 (Stand: 5.3.2025).

Lesen Sie weiter in Ausgabe 2/2025.