Krämer, Thomas
Praktische Harmonieübungen
Themen – Aufgaben – Lösungen
1991 erschien die Harmonielehre im Selbststudium von Thomas Krämer. Der Autor ergänzt nun das Buch fast drei Jahrzehnte später durch eine Sammlung von Übungen und Lösungsvorschlägen zu den Aufgaben seiner Harmonielehre. Seitdem haben sich in der Didaktik der Musiktheorie und des Tonsatzes unterschiedliche Ansätze etabliert, die von didaktischer Reduktion mit regelgeleiteten Tonsatzübungen über Stilkopien repräsentativer Werke bis zu Spezialbereichen wie Jazzharmonielehre oder Arrangierlehren für Bands reichen. Im Buch von 1991 verfolgte der Autor eindeutig den Weg der didaktischen Reduktion und geht ihn auch im vorliegenden Band weiter.
Das Buch, das sich eng an die Veröffentlichung von 1991 anlehnt, ist etwa zur Hälfte in einen Aufgaben- und einen Lösungsteil gegliedert. Das Selbststudium steht im Vordergrund, und in äußerst kleinschrittigem Vorgehen werden elementare Satztechnik und einfache harmonische Fortschreitungen geübt. Der vierstimmige (Chor-)Satz ist in weiten Teilen des Buchs Arbeitswerkzeug der Übungen, und die weit verbreitete Funktionschiffrierung in der Tradition von Wilhelm Maler wird durchgehend verwendet. Das Lerntempo ist bewusst zurückhaltend: Lange verweilt der Autor bei der Dur-Kadenz, dann kommen Moll, Septakkorde und Nebendreiklänge hinzu. Maßgeschneiderte Aufgaben des Autors mit Musterlösungen und ein Kanon fester Regeln begleiten die Lernenden.
Die Reduktion der Mittel und der Regelkanon bieten Vorteile für das Selbststudium: SchülerInnen werden an die Hand genommen, stets wird zwischen richtig und falsch eindeutig unterschieden. Hier liegt gleichzeitig die Schwäche der Methode: Der Regelkanon mit „fehlerhaft“, „nicht ratsam“, „grundsätzlich verboten“, „nie“, „praktisch unverwertbar“, „völlig ausgeschlossen“ kommt als Lehrermeinung daher; Satzregeln mit Kategorien wie richtig oder falsch werden unabhängig von ihrem stilistischen Zusammenhang aufgestellt, und es fehlt oft die Erdung durch authentisches Material, das die apodiktisch aufgestellten Regeln relativiert.
Der vierstimmige Satz nimmt einen breiten Raum ein, wobei der Stilbereich vom Kantionalsatz des 16. Jahrhunderts über romantische Chorkompositionen bis zum Gospel reicht. Die aufgestellten Regeln führen aber oft zur Konstruktion stilfreier vierstimmiger Sätze, etwa wenn für die Harmonik von Hassler-Sätzen Funktionschiffren benutzt werden, ohne Einbezug von Klauseln und mitteltönigem Akkordmaterial. Auch für Folk oder Gospel wirkt ein vierstimmiger Choralsatz mit Kadenzharmonien stilfremd; dafür gibt es heute ganze Sammlungen stilechter Sätze.
Wer dem didaktischen Ansatz des Buchs folgen will, bekommt ein kleinschrittiges, regelgeleitetes Kompendium für das Selbststudium an die Hand, im Unterricht sollte aber der Umgang mit stiltypischen Harmonie- und Satztechniken vermittelnd hinzutreten.
Christoph Hempel