© www.shutterstock.com_gpointstudio

Reimann, Jürgen / Karin Wessel

Prüfung – Lernstand – Notengebung

Künstlerisches in Prüfungen bewerten: Herausforderungen und Anregungen

Rubrik: Hochschule
erschienen in: üben & musizieren 5/2021 , Seite 38

Dieser Artikel gibt einen Einblick in die komplexen Herausforderungen für Lehrende, Künstlerisches zu bewerten, und eröffnet Handlungsspielräume für die Prüfungsgestaltung. Ein knapper Ausblick soll grundlegende und weiterführende Diskussionen zu Sinn und Zweck von Prüfungen und Bewertungen in künstlerischen Studiengängen anregen.

Die Auseinandersetzung mit dem Thema „Künstlerisches prüfen und bewerten“ wird häufig reduziert auf die Frage nach einem klar abgrenzbaren Kriterienkatalog mit einem aufgeschlüsselten Punktesystem, um künstlerische Leistung gerecht bewerten zu können.1 Wir gehen davon aus, dass ein einheitliches Bewertungssystem hilfreich sein kann, nicht zwingend hilfreich sein muss, in jedem Fall aber nur einen Teil der Herausforderungen im künstlerischen Prüfungsprozess betrifft. Wir nehmen im vorliegenden Artikel insofern genau den Teil jenseits eines Kriterienkatalogs in den Fokus. Entsprechend war auch die inhaltliche Ausrichtung eines von uns durchgeführten Workshops im Februar 2021 mit Lehrenden verschiedener deutscher Musikhochschulen. Der intensive Austausch offenbarte eine lebendige und hoch differenzierte Vielfalt wie Breite künstlerischer Prüfungspraxis. Ausdrücklich sei darauf hingewiesen, dass dieser Artikel die Sicht der Lehrenden in den Mittelpunkt stellt und die Wahrnehmungen sowie Einschätzungen der zweiten Akteursgruppe im Prüfungsgeschehen, nämlich die der Studierenden, fehlen und weiteren Studien vorbehalten bleiben.

Rahmensetzung und Hochschulkultur

Formale Vorgaben, aufgrund derer Hochschulen ihre jeweiligen Ordnungen erhalten oder sich diese geben, sind Ländersache, was bereits auf dieser Ebene zu einer Vielfalt unterschiedlicher Rahmensetzungen führt.2 Auf Hochschulebene lässt sich eine erste Unterscheidung in studienbegleitende und studienabschließende Prüfungen treffen. Prinzipien der Notenvergabe sowie Handlungsspielräume der Prüfenden können zwischen den beiden Prüfungsformen stark variieren.
Studienbegleitend kann das Ziel, in Prüfungen einen Lernstand festzustellen und mittels Notengebung die weitere Entwicklung der Studierenden individuell zu fördern, handlungsleitend sein (z. B. Leistungsnote, um sich wettbewerbsorientiert an die „harte Berufswelt“ zu gewöhnen, oder pädagogische Note zur Leistungsmotivation, schwankend zwischen Rücksichtnahme, um nicht zu demotivieren, bis hin zum Schuss vor den Bug). Spätestens bei stu­dienabschließenden Prüfungen kommt für Geprüfte wie Prüfende zusätzlich die Funk­tion der Positionierung und Legitimierung über die eigenen Hochschulgrenzen hinaus ins Spiel und damit auch die Frage, ob Notenspektren vollständig genutzt werden – und falls nicht, welche Bedeutung Noten dann erlangen.
Auch die Zusammensetzung einer Prüfungskommission trägt zur Rahmensetzung bei und kann zu einem bestimmenden Moment werden. Entsprechende Entscheidungen vollziehen sich in den Hochschulen gemäß Vorgaben/Ordnungen sowie in Abhängigkeit von der jeweiligen Hochschulkultur, fachspezifischen Gewohnheiten und Traditionen. Dies betrifft sowohl die Zusammenstellung (u. a. Beteiligung und Bedeutung des oder der Lehrenden in der Prüfung, Beteiligung von Studierenden in der Prüfungskommission) wie auch die Prüfungsgestaltung selbst (u. a. Grad der Ausschöpfung des Notenspektrums).
Darüber hinaus und bislang wenig beachtet erfordert das Prüfungsgeschehen einen Rollenwechsel der Lehrenden von der unterrichtlichen Kooperation mit ihren Studierenden zur nun vorrangigen Koopera­tion mit anderen Lehrenden als den (gemeinsam) Bewertenden. Dieser Rollenwechsel kann von Lehrenden/Prüfenden als konfliktbeladen empfunden werden und Unwohlsein bzw. Unzufriedenheit sowohl mit der Prüfungssituation als auch mit dem -ergebnis auslösen. Vermutlich umso mehr, je weniger dieser Rollenwechsel von den Lehrenden/Prüfenden bewusst wahrgenommen und reflektiert wird.

1 vgl. The Associated Board of the Royal Schools of Music: A[B]RSM MARKING CRITERIA, 2016, https://gb.abrsm.org/media/11480/arsmmarkingcriteria.pdf (Stand: 5.5.2021).
2 vgl. Jürgen Reimann: „Lob der dritten Sache“, in: Bernd Clausen/Heinz Geuen (Hg): Qualitäts­management und Lehrentwicklung an Musikhochschulen. Konzepte – Projekte – Perspektiven, Münster 2017, S. 117 ff.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 5/2021.