Clausen, Bernd / Heinz Geuen (Hg.)

Qualitätsmanagement und Lehrentwicklung an Musikhochschulen

Konzepte – Projekte – Perspektiven

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Waxmann, Münster 2017
erschienen in: üben & musizieren 1/2018 , Seite 22

Haben Sie schon einmal den Unterricht einer Kollegin oder eines Kollegen beobachtet und danach Ihren Eindruck als Feedback mitgeteilt? Hat dies möglicherweise Befremden ausgelöst? Konnten Sie Ihrem Gegenüber dann vermitteln, dass Ihre Kritik nicht auf ­Herabsetzung, sondern auf Verbesserung zielt? Und hat dies letztlich etwas Positives bewirkt?
Falls ja, gehören Sie damit zu den VertreterInnen einer Geisteshaltung „fachlich fundierter Universalität verbunden mit einer ­Offenheit gegenüber einer inhaltlich weiterreichenden Didaktik“. Diese treffende Formulierung ist im Buch Qualitätsmanagement und Lehrentwicklung an Musikhochschulen zu finden. Urheber sind mehrere Musikhochschulen, die sich vernetzt haben, um an ihren Institutionen mit vereinten Kräften ein gelingendes Qualitätsmanagement einzuführen. Damit geben sie unserem gesamten musikalischen Bildungs­wesen einen zündenden Impuls, wofür ihnen Dank und Anerkennung ­gebührt.
Als willkommene und längst überfällige Antwort auf manche (nicht mehr zeitgemäßen) Praktiken – nicht nur an Musikhochschulen – setzen sich die federführenden Autoren Bernd Clausen und Heinz Geuen mit allen Aspekten des komplexen Themas Unterrichtsentwicklung aus­einander. Bemerkenswert ist die schonungslose Lagebeschreibung in Bezug auf den zu be­obachtenden Strukturkonservatismus. Mit treffenden Worten wird das altvertraute unternehmerische Top-down-Prinzip angeführt, in dem der Direktor alles von oben herab entscheidet und die Mitarbeiter sich unref­lektiert auf das Erfüllen seiner Anordnungen beschränken. Wen wundert es, dass man sich in Schulen mit solch veralteten Organisationsstrukturen auch gegenüber dringend gebotenen Un­terrichtsreformen überwiegend ablehnend verhält. Folglich ist die erklärte Intention der Ver­fasser, diesem Tatbestand wirkungsvoll zu Leibe zu rücken: Die Sicherung von Unterrichtsqualität sei „in Kunstschulen bislang noch ein Desiderat und müsse deshalb vorangetrieben werden“.
Um ein innovatives Qualitäts­verständnis tiefer zu begründen, verweisen die Autoren zunächst auf Riemann und Kestenberg, die sich schon im 19. Jahrhundert dafür einsetzten, musika­lische Ausbildung als Schaffung umfassender musikalischer Bildung zu begreifen. Nicht länger Erziehung zur Musik (also keine ausschließliche Dressur auf prak­tische Musikausübung), sondern Erziehung durch Musik, das bedeutet künstlerische Entwicklung in einem menschenbildenden Sinne, als Lebensausdruck und Mittel zur Humanisierung, so deren Credo.
Da diese Erwartung an musikalische Bildung bis heute nicht flächendeckend erfüllt ist, wird gefragt: Was muss sich in den Schulen nun endlich ändern? Kurz zusammengefasst: Als erstes bedürfe es einer Qualitätskultur im Sinne von Governance – verstanden als ein Prozess, der auf Transparenz, Selbstverantwortlichkeit, Partizipation (Entscheidungen werden kollegial getroffen) und auf ein gemeinsames strategisches Verständnis von Qualität abziele. Dies erfordere Commitment, worunter man eine verpflichtend erlebte Wertebindung an etwas Bedeutendes (z. B. eine aufgeschlossene Haltung gegenüber Qualitätsmaßnahmen) versteht.
Um dies zu generieren, wird empfohlen, Partizipationsinstrumente zu implementieren. Interessant ist in diesem Zusammenhang das Modell des „partizipativen Managements“, mit seinen Dimensionen Schul-Philosophie (dort wird Qualitätskultur definiert), Management-Strategie (wo Ziele und Leitbilder for­muliert werden) und dem operativen Bereich (wo man gemeinsam Wege aushandelt und die Ziele in der Praxis verwirklicht). Die Führungsaufgaben in einer nach diesem Modell strukturierten Organisation werden in einem separaten Kapitel zum Thema Personalentwicklung differenziert erläutert. Im Kern geht es dabei darum, die Lehrenden auf die Beteiligung an übergreifenden Entscheidungen und die selbstverantwortliche Gestaltung von Umsetzungsprozessen vorzubereiten.
Inhaltlicher Schwerpunkt der Beiträge ist – der Bedeutung des Themas entsprechend – das Was und Wie der Unterrichtsevalua­tion. Die Eckpunkte des vorgeschlagenen Verfahrens: Qualitätsziele kollegial aushandeln und in Form gewünschter Ergebnisse beschreiben, daraus Qualitätsanforderungen in Form von Gütemerkmalen formulieren, die­se im eigenen Unterricht verwirklichen, unter Anwesenheit ex­terner BeobachterInnen Ziel und tatsächliches Ergebnis miteinander vergleichen und schließlich prüfen: Ist das Ziel erreicht?
Zwecks Verwirklichung dieses Verfahrens werden mehrere Formate bereitgestellt. In der Beliebtheitsskala ganz oben rangiert die Lehrveranstaltungsevaluation. In deren Verlauf wird ermittelt, mit welchem Input welcher Output erzielt wurde, um dann auf der Basis der Ergebnisse bilanzieren zu können, wie z. B. die Zusammenarbeit verlief. Die Evaluation des Einzelunterrichts beschränkt sich auf die Überprüfung, wie pünktlich bzw. zuverlässig Unterricht erteilt wird (durch den Professor, die Professorin oder durch eine Vertretung). Die wechselseitige Begutachtung beruht auf einem schulübergreifenden Zusammen­schluss, mit dem Ziel, sich über zentrale Aspekte von Qualität auszutauschen.
Ein weiteres Format ist die Videoreflexion. Sie ermöglicht es Studierenden, sich aus einer Außenperspektive selbst zu beobachten und ihr Agieren um neu gewonnene äußere Blickwinkel zu ergänzen. Das Co- und Teamteaching ist aus Sicht der Musikhochschule Freiburg erläutert. Als wesentliche Gelingensbedingung wird dort persönliche Reife vorausgesetzt, das heißt, bereit sein, Lehr­tätigkeiten auch vom Co-Teacher ausführen zu lassen, KollegInnen Einblicke in den eigenen Unterricht zu gewähren und Meinungsunterschiede offen zu kommunizieren.
Kontrovers zu diskutieren wäre die Evalua­tion des Einzelunterrichts. Man fordert Qua­litäts­offensiven, lässt das Kernformat Einzelunterricht aber außen vor. Man spricht von einem Mangel an Forschungsdaten, obwohl fundierte Indikatoren für die Qualität des Einzelunterrichts längst existieren. John Hattie, Hilpert Meyer und Anselm Ernst z. B. haben objektive Gütemerkmale formuliert, die für die Hospitation des künstlerischen Einzelunterrichts wichtige Impulse liefern könnten! Aber zugegeben: Es ist schwierig, Studien­ergebnisse in die tägliche Praxis zu über­führen.
Umso mehr gilt, dass Veränderungsmanagement – soll es erfolgreich sein – konsequent dort ansetzen muss, wo veraltete Praxis auf neue Erkenntnisse trifft. Die gesamte Organisation ist dann gefordert, ihre Anpassungs­fähigkeit zu beweisen. Wer dabei welche Aufgaben zu erfüllen hat, wird gut nachvollziehbar dargestellt. Lehrende müssen sich dafür qualifizieren, die Güte ihres Unterrichts selbst gestalten zu können. Mit Fokus auf die Didaktik wird empfohlen, die Lernstände der SchülerInnen ver­lässlich zu erheben und zu überprüfen: Lernen einzelne SchülerInnen besser alleine oder in der Gruppe? Weiterhin wird für den Einsatz digitaler Medien plädiert.
Sehr gewinnbringend sind die Ausführungen zum Thema Blended Learning. Dieses Verfahren beruht darauf, Inhalte online zu vermitteln und im Unterricht den Stoff übend zu vertiefen. Leitungspersonen wird nahegelegt, im Spannungsfeld zwischen externer Anforderung und den Bedürfnissen innerhalb der Schule geschickt und gekonnt zu vermitteln. Vor allem den Bedenkenträgern sollte vermittelt werden, welch hohen Nutzen ein gelingendes Qualitätsmanagement für die Schule haben könnte.
Am Ende kann konstatiert werden: Das Buch ist rundum stimmig. Die AutorInnen tragen dazu bei, dass eines klar wird: Bildungsinstitutionen stehen vor der Wahl, die Auswirkungen des Paradigmenwechsels entweder zu erleiden oder zu gestalten! Dem gesamten musikalischen Bildungswesen ist zu wünschen, die vielen positiven Signale in dieser Schrift aufzugreifen und die Dinge in die Hand zu nehmen, denn die Chancen einer Neuausrichtung von Schularbeit sind beträchtlich.
Dieter Fahrner