Reichmann, Gunnar

Qualitätsverlust in großem Stil

Neues Musik- und Kunst­schulgesetz in Brandenburg ­verschlechtert die Situation der Schulen

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 3/2014 , musikschule )) DIREKT, Seite 02

Am 22. Januar 2014 wurde vom Brandenburgischen Landtag das novellierte Musikschulgesetz verabschiedet. Doch die damit verbundenen Hoffnungen und Erwartungen der Musikverbände sowie der Lehrer- und Elternschaft haben sich nicht erfüllt – ganz im Gegenteil: Weder wurde die Landesförderung für die bereits seit Jahren chronisch unterfinanzierten Musik- und Kunstschulen erhöht noch wurden die Vorschläge verschiedener Musikschulexperten für eine dauerhafte und qualitätssichernde Zukunft der Musikschulen berücksichtigt. Dafür müssen in Zukunft mehr Kriterien erfüllt sein, um überhaupt eine Förderung vom Land Brandenburg erhalten zu können.1

Warum das Gesetz novelliert wurde

Ein Musikschulgesetz gibt ist Brandenburg bereits seit dem Jahr 2000. Danach musste eine Musikschule sechs Kriterien erfüllen, um vom Land Brandenburg als solche anerkannt und gefördert zu werden. Die Kriterien waren Gemeinnützigkeit, eine kontinuierliche und planmäßige Arbeit, mindestens 150 Jahreswochenstunden, die Arbeit nach Lehrplänen und die Leitung der Musikschule durch eine festangestellte und nach Ausbildung und Berufserfahrung geeignete Person. Die Mehrheit der Lehrkräfte musste über einen Hochschulabschluss im Fachbereich Musik oder Musikpädagogik bzw. einen gleichwertigen Abschluss verfügen.
Die Gesamtfördersumme belief sich auf 3,3 Millionen Euro. Das entsprach einem Anteil an den Gesamtkosten der Musikschulen von etwa 15 Prozent. Nur drei Jahre später, im Jahr 2003, wurde die Fördersumme vom Landtag auf 2,6 Millionen Euro gekürzt. Das Gesetz sah jedoch vor, die Fördersumme bei steigenden Kosten oder Unterrichtsvolumen zu erhöhen, soweit Haushaltsmittel zur Verfügung stehen. Jedoch standen Haushaltsmittel offenbar seit 2003 nicht zur Verfügung, somit wurde die Fördersumme auch nicht erhöht. Der prozentuale Anteil der Landesförderung an den Gesamtkosten verringerte sich infolgedessen zwischen 2000 und 2009 von ursprünglich 15 Prozent auf unter zehn Prozent.
Mit der Kürzung der Landesförderung im Jahr 2003 verschlechterte sich die wirtschaftliche Situation der sowieso schon unterfinanzierten brandenburgischen Musikschulen zusehends. Auszubaden hatten das einerseits die Lehrkräfte, die zunehmend als Honorarkräfte statt als Festangestellte beschäftigt wurden, andererseits die Träger der Musikschulen und die Eltern der Schülerinnen und Schüler, die tiefer in die Tasche greifen mussten.
Aus diesen Gründen wurde vom Landesverband der Musikschulen Brandenburg
e. V. im Jahr 2009 die Volksinitiative „Musische Bildung für alle“ ins Leben gerufen. Forderungen der Volksinitiative an das Land Brandenburg waren unter anderem, allen Kindern und Jugendlichen unabhängig von ihrem sozioökonomischen Status eine musische Bildung zu ermöglichen und die Fördermittel für die Musikschulen zu verdoppeln. Die Beteiligung der Bevölkerung war groß, und so beauftragte der Landtag im Jahr 2010 das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur, das bestehende Gesetz zu novellieren.

Die Neuerungen des Gesetzes

Von der Novellierung des brandenburgischen Musikschulgesetzes wurde viel erwartet. Denn die Volksinitiative hatte nicht nur damit Erfolg, die Novellierung beim Ministerium durchzusetzen, sondern auch zur Entstehung des Grundmusikalisierungsprogramms „Klasse: Musik“ beizutragen. Für das gesamte Programm „Musische Bildung für alle“, inklusive „Klasse: Musik“, hatte das Land seit 2010 jährlich 1,3 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Vor diesem Hintergrund durften sich die seit Jahren chronisch unterfinanzierten Musikschulen verständlicherweise Hoffnungen auf eine Verbesserung ihrer Situation machen, die sich dann auch im neuen Gesetz wiederfinden sollte.
Doch nach den vier Jahren, die seit der Beauftragung durch den Landtag bis zum Beschluss des neuen Gesetzes vergangen sind, fällt das Ergebnis nun ernüchternd aus. Im Gesetz findet sich weder eine Erhöhung der Gesamtfördersumme noch wurde das in Brandenburg so erfolgreiche Programm „Musische Bildung für alle“ in das Gesetz aufgenommen. Dafür wurde das Verfahren zur Anerkennung der Musikschulen als „förderungswürdig“ durch das Land um fünf Punkte erweitert.2 Positiv ist dabei hervorzuheben, dass zukünftig auf die Fortbildung der Lehrkräfte Wert gelegt wird. Andere Kriterien jedoch erhöhen den Verwaltungsaufwand der Musik- und Kunst­schulen. Dafür muss Geld in die Hand genommen werden, das dann nicht für den Unterricht der Schülerinnen und Schüler zur Verfügung steht.
Zahlreiche Verbände und die Gewerkschaft ver.di kritisierten in ihren Stellungnahmen zum Entwurf des neuen Gesetzes bereits im Juni 2013 das enorm aufwändige Verfahren zur staatlichen Anerkennung, welches in letzter Konsequenz dazu führt, dass für den Unterricht sogar insgesamt noch weniger Mittel zur Verfügung stehen als vorher.3 Damit aber noch nicht genug. Der Anteil der Fördermittel für die jeweilige Musikschule soll zukünftig auf Grund­lage der im Jahr erteilten Unterrichtsstunden und der Zahl der Schüler der Musikschule berechnet werden. Bisher erfolgte die Berechnung ausschließlich anhand der erteilten Unterrichtsstunden. Das Land möchte damit bewirken, dass mehr Schülerinnen und Schüler unterrichtet werden. Mit dieser Maßnahme sollen Wartelisten abgebaut und der Gruppenunterricht anteilig bzw. die Gruppenstärke erhöht werden. Gleichzeitig möchte das Land aber die Sicherung oder sogar die Erhöhung der Qualität erreichen. Besondere Maßnahmen zur Begabtenförderung finden sich im Gesetz nicht wieder, ebenso wenig wie Verbesserungen für die Lehrkräfte. Die Lehrkräfte sind aber das eigentliche „Kapital“ der Musikschulen und in erster Linie für die Qualität verantwortlich.
Eine Quote von festangestellten Lehrkräften und das Festlegen von Mindesthonoraren und sozialer Absicherung für die Honorarkräfte hätten eine minimale Anerkennung der Verantwortung der Lehrkräfte zum Ausdruck gebracht und auch einen positiven Einfluss auf die Qualität des „Organismus Musikschule“ gehabt. Nichts davon hat jedoch den Weg in das Gesetz gefunden. Weiterhin müssen keineswegs alle, sondern nur die Mehrheit der Lehrkräfte über einen entsprechenden berufsqualifizierenden Abschluss verfügen. Auch dies ist sicher keine qualitätsfördernde Maßnahme.
Dass die Berechnung der jeweiligen Fördersumme künftig auch auf der Grund­lage der Schülerzahl in Verbindung mit den fehlenden Regelungen für die Lehrkräfte und die unveränderte Gesamtfördersumme erfolgen wird, führt ebenfalls zu einem schleichenden Qualitätsverlust: Musikschulen, die bisher verstärkt auf Einzel­unterricht Wert gelegt haben, müssen in Zukunft mehr Schüler aufnehmen und Gruppenunterricht anbieten. Jedoch könn­te das mit größeren Hürden verbunden sein, denn Wartelisten gibt es keineswegs an jeder Musikschule und die Schülerzahlen sind in den vergangenen zehn Jahren bereits stetig gestiegen. Darüber hinaus wird es dann nicht mehr wie bisher möglich sein, sich allein aus pädagogischen Gründen für Einzel- oder Gruppenunterricht zu entscheiden. Außerdem sind auch die räumlichen Kapazitäten der Musikschulen begrenzt.
Festzustellen ist des Weiteren bereits jetzt in einigen Bereichen ein Fachkräftemangel. Gelingt es einer Musikschule aufgrund dieser Bedingungen nun nicht, die Schülerzahl zu steigern, muss sie möglicherweise mit empfindlichen Einbußen der Landesförderung rechnen.4 Zudem ist bisher noch nicht festgelegt, wie die Schülerzahl einer Musikschule genau berechnet wird: Ist ein Schüler dann ein Schüler im Sinne des Gesetzes, wenn er das gesamte Kalenderjahr oder nur einen einzigen Tag Schüler der Musikschule war? Hier besteht noch erheblicher Präzisierungsbedarf durch die Landesregierung, um Planungssicherheit für die Musikschulen zu gewährleisten. Sollte jedoch ein „Konkurrenzkampf“ der Musikschulen um die Fördermittel vom Land entstehen, könnte der Einzel­unterricht in Zukunft die große Ausnahme darstellen.

Auch Kunstschulen sind nun eher gefährdet

Neu ins Gesetz aufgenommen wurde, dass nun auch Kunstschulen prinzipiell das Recht auf Förderung durch das Land haben. Dafür wurden 90000 Euro für das gesamte Land Brandenburg bereitgestellt. Ob sie aber tatsächlich eine Förderung durch das Land erhalten, ist mehr als fraglich. Dafür müssen sie nämlich erst die Anerkennungsvoraussetzungen erfüllen. Und die haben sich gewaschen: Eine Kunstschule müsste wöchentlich jeweils 30 Unterrichtsstunden in den Bereichen „Bildende Kunst“ und „Angewandte Kunst“ und zehn weitere Stunden in einem der Bereiche „Theater“, „Tanz“, „Literatur“, „Medien“ oder „Zirkus“ erbringen. So könnte es passieren, dass das neue Musik- und Kunstschulgesetz Kunstschulen eher verhindert als fördert. Die Landtagsabgeordnete Anja Heinrich (CDU) berichtet in ihrer Pressemitteilung vom 4. März 2014 von den Auswirkungen: „Das Gesetz gefährdet das finanzielle Überleben von den Kunstschulen in Brandenburg“, denn es haben schon Träger von Kunstschulen mit der CDU Kontakt aufgenommen, die nach der derzeitigen Beschlusslage den Fortbestand ihrer Schule gefährdet sehen.5

Auswirkungen der Novelle

Mithin kann man die Auswirkungen des novellierten Brandenburgischen Musik- und Kunstschulgesetzes folgendermaßen zusammenfassen:
– Die chronisch unterfinanzierten Musik- und Kunstschulen erhalten nicht mehr Geld vom Land – im Gegenteil: Durch den erhöhten Verwaltungsaufwand steht für den Unterricht noch weniger Geld zur Verfügung als vorher.
– Keine Planungssicherheit für Projekte, die allen Kindern und Jugendlichen – unabhängig von ihrem sozioökonomischen Status – eine musische Bildung ermöglichen.
– Im Gesetz wird keine Förderung von Spitzenleistungen festgeschrieben.
– Für die Lehrkräfte gibt es keine Verbesserung.
– Die Qualität der Musikschule als Bildungsinstitution wird sinken.
– Kunstschulen sind in ihrer Existenz bedroht, Neugründungen förderfähiger Kunst­schulen sind aufgrund der Kriterien so gut wie unmöglich.

Geht es besser?

Das Land Brandenburg ist nicht das ein­zige Bundesland mit einem Musikschul­gesetz. Seit dem Jahr 2006 gibt es ein solches auch in Sachsen-Anhalt. Es fällt sofort auf, dass dort eine Gesamtfördersumme nicht genannt ist. Auch auf ein kompliziertes Anerkennungsverfahren wurde verzichtet. Das Gesetz ist zwar insofern etwas komplexer verfasst als das brandenburgische, als es neben dem eigentlichen Gesetz noch eine Verordnung, eine Richtlinie und jeweils dazu noch Ausführungsbestimmungen gibt. Dieses Konstrukt hat jedoch den Vorteil, dass die für das Bundesland Sachsen-Anhalt wichtigen Aspekte leichter angepasst werden können.
Das Land Sachsen-Anhalt kann bis zu 50 Prozent der Kosten für die Unterrichtsstunden bezuschussen. Dabei gibt es für bestimmte förderungswürdige Bereiche feste Fördersätze, so zum Beispiel für ­Ensemblefächer, Unterricht für Menschen mit Behinderungen oder Unterricht in der studienvorbereitenden Ausbildung. Für die Leistungsträger unter den Schülern werden Stipendien in Höhe von 1000 Euro vergeben. Weiterhin wird festgelegt, dass die Mehrzahl der Unterrichtsstunden durch festangestellte Lehrkräfte erteilt werden soll. Breitenbildung und Spitzenleistungen werden hier ausgewogen gefördert.
Dass die Gesamtfördersumme nicht festgelegt worden ist, birgt natürlich auch Gefahren, denn die Zuschüsse in diesem Gesetz unterliegen ebenfalls dem Haushaltsvorbehalt. Besser als das brandenburgische Gesetz scheint es dennoch zu sein. Klaus-Peter Will, Schulleiter der Musikschule Märkisch-Oderland in Brandenburg, hat im Mai 2013 eine Untersuchung veröffentlicht, in der unter anderem die Zuschüsse aller Bundesländer für die musikalische Bildung verglichen werden. Aus dieser geht hervor, dass Brandenburg gemessen am Anteil der Landesförderung an den Gesamtkosten der Musikschulen bundesweit das Schlusslicht ist. Vermutlich ist es dann auch bald das Schlusslicht gemessen an der Ausbildungsqualität für die Kinder und Jugendlichen.
Der Verband der Musik- und Kunstschulen Brandenburg e. V. (VdMK) hat indes eine neue Volksinitiative angekündigt – wiederum mit dem Ziel der Verdopplung der Landeszuschüsse.6

1 Protokoll der Sitzung des Ausschusses für Wis­senschaft, Forschung und Kultur des Landtages Brandenburg vom 13.11.2013: www.landtag.brandenburg.de/media_fast/5701/45.16020911.pdf
2 Gesetz zur Förderung der Musik- und Kunstschulen im Land Brandenburg: www.bravors.brandenburg.de/sixcms/detail.php?gsid=land_bb_bravors_ 01.c.54524.de
3 Stellungnahmen vom Verband der Musik- und Kunstschulen Brandenburg e. V. (VdMK), des Städte- und Gemeindebundes Brandenburg (StGB) und der Landeselternvertretung: http://vdmk-brandenburg.de/site/verband/kulturpolitische-arbeit/sub-kulturpolitische-arbeit-2
4 Lausitzer Rundschau: „,Respektlosigkeit‘ ärgert Musikschulen“; www.lr-online.de/regionen/cottbus/Respektlosigkeit-aergert-Musikschulen;art 1049,4372821
5 www.cdu-fraktion-brandenburg.de/aktuell/auswirkungen-des-musik-und-kunstschulgesetzes
6 http://bb.mehr-demokratie.de/bb-news.html?& tx_ttnews[backPid]=6833&tx_ttnews[tt_news]=15074&cHash=258389db4f35437bccb0c9e58082a658