Andersen, Joachim
Quatre morceaux op. 62
für Flöte und Klavier, hg. von Kyle Dzapo
Sicher ist Ihnen die Situation vertraut: Auf der Suche nach neuer Vortragsliteratur stöbern Sie durch Notenstapel im Notenhandel Ihres Vertrauens, werden unerwartet fündig und tragen einen kleinen Schatz mit nach Hause: In diesem Fall hat ihn Kyle Dzapo gehoben und im Musikverlag Zimmermann herausgegeben.
Joachim Andersen ist unter FlötistInnen bekannt. Nun liegen mit den Quatre morceaux op. 62 für Flöte und Klavier sehr lohnende Herausforderungen mit dem verbrämten Flair des kultivierten romantischen Salons vor, die das Spiel-, Unterrichts- und Vortragsrepertoire bereichern und in kompositorischer Hinsicht echte Kleinodien sind.
Andersens charmante Kompositionen kommen im plaudernden Salon-Ton daher: Mit der Cavatine im unkomplizierten Gestus – technisch zunächst anspruchsarm, tonlich fortgeschrittene Fähigkeiten und interpretatorisch eine gewisse Reife im musikalischen Ausdrucksvermögen erfordernd – beginnt der Zyklus ruhig und beschaulich, bevor im Intermezzo das den FlötistInnen eher vertraute Andersen-Bild des etüdenhaften Grundgedankens im verschmitzten Miteinander und eng verwoben mit dem Klavierpart Genauigkeit und Präzision in Griff- und Zungentechnik verlangt – dies freilich in einem überschaubaren Tempo (Allegretto). Die Nr. 3 Dans la gondole ist im Charakter schwebend, poetisch, im Mittelteil verspielt gehalten und lässt das flötistische Herz im cantabile aufgehen: Hier kann die fortgeschrittene Schülerin ihren Ton zeigen, Legatofertigkeiten verfeinern und an dynamischen Nuancen feilen! Ein gewisses Talent zum dramatischen Vortrag bekommt dem letzten der vier Stücke gut: Die Sérénade d’amour zeichnet mit überschaubaren technischen Herausforderungen in espritvollen harmonischen Wendungen, mit scheinpolyfonen melodischen Aspekten und kleinen artikulatorischen Ornamenten im Allegretto-Tempo ein verspielt-leidenschaftliches Bild, das im Miteinander mit dem Klavierpart Spaß beim Proben macht und sich als motivierendes Vortragsstück gut eignet.
Die Quatre morceaux op. 62 sind für schon ein wenig fortgeschrittene SchülerInnen sowohl auf der Flöte als auch dem Klavier gleichermaßen geeignete Kammermusikübungen und Vortragsstücke, die auch dem versierten Profi Abwechslung im kleinen Format bieten und als Abbild der Salonmusik absolut aufführenswert sind! Der Notensatz ist klar und übersichtlich, dazu blätterfreundlich in Bezug auf den Flötenpart konzipiert. Die minutiösen Einzeichnungen der Artikulation, Phrasierung und Dynamik geben sehr deutlich den intendierten Gestaltungsspielraum vor, wobei in der von Kyle Dzapo sorgfältig edierten und mit äußerst lesenswertem Vorwort versehenen Ausgabe nicht klar ersichtlich ist, ob die Einzeichnungen nachträglich hinzugefügt wurden.
Christina Humenberger