Busch, Barbara
Quereinstieg in den Schuldienst
Gespräch mit dem Saxofonisten und Grundschulpädagogen Frank Lunte
Lieber Frank, lange Zeit warst du erfolgreich als Saxofonist unterwegs. Seit einigen Jahren arbeitest du mit Zufriedenheit an einer Berliner Grundschule. Wie lassen sich die zentralen Stationen deines Studien- und Berufswegs umreißen?
Ein Berufsweg als Musiker war familiär nicht vorgesehen. Meine Eltern waren Inhaber eines Geschäfts für Stempel und Schilder mit angeschlossener Werkstatt in meiner Heimatstadt Minden. Daher lief zunächst alles darauf hinaus, eines Tages die Nachfolge zu übernehmen. Nach meinem Realschulabschluss absolvierte ich also eine dreijährige Ausbildung zum Schriftsetzer. Parallel dazu intensivierten sich meine musikalischen Aktivitäten mit dem Saxofon, ich gewann Preise bei „Jugend musiziert“, spielte das Glasunow-Konzert mit den Jungen Sinfonikern aus Bielefeld, hatte Konzerte hier und da. Das war alles sehr aufregend für einen Teenager, dessen familiärer Hintergrund zwar musikinteressiert, aber gänzlich unakademisch war. Ich rechne es meinen Eltern noch heute hoch an, dass sie mich haben ziehen lassen.
1988 ging ich zum Studium des Klassischen Saxofons nach Berlin, an die heutige Universität der Künste. Es folgte ein Aufbaustudium, das ich mit dem Konzertexamen beendete. Der Übergang vom Studium zur freischaffenden Tätigkeit war fließend. Schon im Studium habe ich an der Musikschule unterrichtet, in Orchestern Aushilfe gespielt, eigene Kammermusikformationen gegründet etc. Das war eine intensive Zeit, weil ich viel ausprobiert habe, vom Saxofon-Quartett bis zum Kabarett.
Als zentral kristallisierte sich in den Nuller Jahren die Zusammenarbeit in einem Duo mit Klavier heraus. Von Anfang an war klar, dass der Fokus auf der faszinierend facettenreichen Original-Literatur für Altsaxofon und Klavier liegen sollte. Es gab viel zu entdecken, insbesondere in der Blütezeit des Klassischen Saxofons im Berlin der 1930er Jahre und der Nachkriegszeit.1 Als Co-Herausgeber eines Buchs zum 200. Geburtstag von Adolphe Sax2 und zahlreichen begleitenden Veranstaltungen erreichte ich künstlerisch einen wunderbaren Höhepunkt, dem noch die Herausgabe einer Urtext-Edition der Hot-Sonate von Erwin Schulhoff3 folgte.
Dieser künstlerische Höhepunkt mündet wenig später in eine Laufbahn als Grundschulpädagoge…
Ja, 2018 folgte am Studienzentrum für Erziehung, Pädagogik und Schule (StEPS) mein Quereinstieg in den Berliner Schuldienst. Dieser fand berufsbegleitend statt, das heißt drei Tage Schule, zwei Tage StEPS. Aufgrund mangelhafter Leistungen im Fach Mathematik konnte ich die Fortbildungsmaßnahme jedoch nicht fortsetzen. Meine Schulleiterin wollte mich aber als Fachlehrer für Musik an der Schule halten, insbesondere für den Instrumentalunterricht (Musikbetonte Grundschule). So unterrichte ich nun Querflöte, Klarinette, Saxofon und Bläserensembles und bin im Klassenunterricht Musik tätig.
Das ist eine Entwicklung, die zunächst überraschend wirkt. Was waren deine Hauptmotive, von einer freiberuflichen Tätigkeit Abschied zu nehmen zugunsten einer Anstellung im Öffentlichen Dienst?
Nun ja, auf der einen Seite hätte ich schon gerne freischaffend weitergearbeitet, aber auf der anderen Seite war es finanziell immer eng, da auch meine Frau freischaffend im künstlerisch-pädagogischen Bereich unterwegs ist. Es kamen aber viele andere Gründe hinzu. Die Büroarbeit von der Website-Pflege über die Konzert-Orga bis hin zur ausufernden Steuererklärung nahm unfassbar viel Zeit in Anspruch, das ständige Reisen wurde mir zur Last (wobei ich das Fliegen aus Umweltgründen zunehmend ablehnte und seither auch privat nicht mehr fliege), aber auch auf programmatische Diskussionen mit Veranstaltern („Könnse nich’ auch ’n Hummelflug oder sowas mit ins Programm nehm’?“) hatte ich keine Lust mehr. Zudem bereitete mir der Arbeitgeber Kirche immer mehr Bauchschmerzen. Über drei Jahrzehnte war ich in den Kirchen Norddeutschlands unterwegs und bezog von ihnen Honorare. Dabei war ich schon in meinen frühen Zwanzigern ausgetreten. Ich wollte diese Doppelmoral nicht länger leben. Ein weiterer Punkt war das Gefühl, in eine instrumentale Krise hineingeraten zu sein.
Die gesamte Gemengelage war einfach nicht mehr stimmig und da kam die Option auf eine pädagogische Tätigkeit an einer Grundschule gerade recht. Darüber nachgedacht hatte ich schon einige Jahre, auch aufgrund meiner Mitwirkung in der Band des Kindermusikprojekts „Wir Kinder vom Kleistpark“,4 eine Kooperation mit der Grundschule meiner Kinder, an der ich mich darüber hinaus als Elternvertreter engagierte.
Welche Hürden galt es zu überwinden, um in den Schuldienst wechseln zu können? Welche Unterstützung hast du erfahren, um dich für den Schuldienst zu qualifizieren?
Die größte Hürde war, mein Konzertexamen einem Diplom gleichstellen zu lassen. Dafür war eine Äquivalenzbescheinigung der Universität der Künste nötig, die mir schließlich eine zugewandte Sachbearbeiterin auch umfassend ausstellte. Der Weg von der ursprünglichen Aussage der Senatsverwaltung, mein Abschluss sei unzureichend, bis zu dessen Anerkennung war langwierig und streckenweise zermürbend.
Als der Quereinstieg dann begann, durchlief ich einen zehntägigen Crash-Kurs am StEPS mit teils hilfreichen, teils überflüssigen Themen. Später im Deutsch-Studium hatte ich drei wunderbare Dozentinnen in Linguistik, Literaturwissenschaft und Fachdidaktik und eine tolle Gemeinschaft im Kurs, in dem wir uns gegenseitig sehr unterstützten. Im Mathe-Studium ein Jahr später sah das leider ganz anders aus. Am wichtigsten aber war das Kollegium an meiner Schule einschließlich der Schulleitung. Nie wurde ich abgewiesen, wenn ich nicht weiterwusste. Die Qualifikation bezüglich der Unterrichtsinhalte ist das eine, das Klarkommen im Kosmos Grundschule etwas ganz anderes. Wenn da die Chemie im Kollegium nicht stimmt, scheitert man unweigerlich.
Wie schaust du heute auf deine bisherige berufliche Karriere? Welche Rolle spielt das Saxofon aktuell?
Dass ich mich 30 Jahre lang in der freien Musikszene tummeln konnte, empfinde ich als riesiges Privileg. Ich habe es ausgereizt bis zum letzten Moment und dann gewissermaßen die Notbremse gezogen, als meine beiden Kinder mehr denn je wegen ihrer Studienwünsche auf finanzielle Unterstützung angewiesen waren.
Das Saxofon spielt aktuell auf der Bühne keine Rolle, aber im Unterricht natürlich schon. Dafür haben Querflöte und Klarinette Raum gegriffen und ich übe regelmäßig diese beiden Instrumente. Zudem beschäftige ich mich intensiv mit der Unterrichtsmethodik speziell im Setting der musikbetonten Grundschule.
Vom Saxofonisten zum Musiklehrer an einer Grundschule: Welche Konsequenzen würdest du aus deinen persönlichen Erfahrungen ziehen für die Gestaltung von Studienangeboten an Musikhochschulen?
Mein Studium liegt 30 Jahre zurück und über die aktuelle Situation an Musikhochschulen bin ich nicht im Bilde. Worüber ich mir damals als Studierender nicht im Klaren war und was ich bitter erfahren musste: Als freischaffender Musiker muss ich mich als Wirtschaftsunternehmen begreifen und letztlich alle Gewerke in Personalunion bewältigen können. Auch alles nichtmusikalische Tun um die eigentliche Kunst herum kann ja durchaus Spaß machen; ja, das sichert letztlich die unabhängige Ausgestaltung künstlerischer Inhalte. Aber das Selbstmanagement ist eine eigene Kunst, die es zu erlernen gilt. Diese sollte im Studienangebot verankert sein.
Daran knüpft meine persönliche Erfahrung an, dass eine überhöhte Erwartungshaltung an ein Leben im Erste-Reihe-Solisten-Himmel (das wurde mir als 19-Jährigem tatsächlich so suggeriert) nicht der Realität entspricht. Ich habe wirklich geglaubt, dass ich „entdeckt“ werden würde und dann alles von selbst läuft. Das war an Naivität und Selbstüberschätzung kaum zu toppen. Natürlich schlug ich direkt nach Studienstart hart auf dem Boden der Tatsachen auf und wollte mein Studium nach wenigen Wochen abbrechen. Ich denke, solchen Enttäuschungen sollte vorgebaut werden. Die Erfahrungen an den Musikschulen meiner beiden Kinder, in denen sie jüngst die studienvorbereitenden Abteilungen durchlaufen haben, sind dahingehend aber positiv zu bewerten; sie wurden auf ein realistisches Berufsumfeld vorbereitet.
Mit welcher Vision siehst du als Künstler bzw. als Musikpädagoge die Zukunft der öffentlichen Musikschulen in Deutschland?
Meine Vision ist die einer fest im Bildungssystem verankerten Institution, die nicht um finanzielle Mittel und um Status bangen muss. Gemeinsames Musizieren ist ein gesellschaftliches Grundbedürfnis und kann friedensstiftend sein! Entsprechend wichtig ist die Bereitstellung von frei und flexibel nutzbaren Räumen sowie die Anstellung von Lehrkräften mit angemessener Entlohnung und in sozialer Absicherung als wertschätzender Akt ihrer Arbeit. Unabdingbar ist die Vernetzung von Musikschulen und allgemeinbildenden Schulen auf Augenhöhe.
1 Musik für Saxophon aus Berlin/Deutschland, Vol. 1-4, Berlin, eda records, 2002-2010.
2 Lunte, Frank/Müller-Elschner, Claudia (Hg.): Saxophon(e). Ein Instrument und sein Erfinder/Un instrument et son inventeur, Berlin 2014.
3 Schulhoff, Erwin: Hot-Sonate für Altsaxophon und Klavier, hg. von Frank Lunte, München 2018.
4 Wir Kinder vom Kleistpark, 7 CDs, Berlin, fünfton, 2007-2018.
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