Dartsch, Michael

Raus aus der Lehrerrolle

Situative musikalische Arbeit in der Kita

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 1/2014 , Seite 38

Damit Musik ein Teil des Lebens von Kindern werden kann, muss sie auch im Nahraum der Kinder als eine alltägliche Ausdrucksform erlebbar sein. Während die Musikpädagogik kaum Einfluss auf die Familien ausüben kann – eine Ausnahme stellen Eltern-Kind-Gruppen an Musik­schulen dar –, kann sie sehr wohl in den Alltag von Tageseinrichtungen für Kinder hineinwirken.

Die Musikalische Früherziehung an Musikschulen und in Kindergärten stellt ein etabliertes und erfolgreiches Angebot dar, das auch Wirkung zeigt. Die Ergebnisse einer von mir betreuten Studie deuten darauf hin, dass Kinder am Ende der zweijährigen Kurse präziser und kreativer mit Musik umgehen als Altersgenossen und dass dies tatsächlich eine Frucht des Unter­richts ist. Dennoch legen die Befunde bei näherem Hinsehen nahe, das Unterrichtsangebot durch ergänzende Maßnahmen zu flankieren.
Nachdenklich stimmt etwa die Tatsache, dass die Eltern der Früherziehungskinder keineswegs ein repräsentatives Abbild der Gesamtgesellschaft darstellen. Vielmehr finden sich unter ihnen mehr höhere Bildungsabschlüsse und vielfach auch Musikinstrumente in den Haushalten. Außerdem profitieren die Kinder umso mehr vom Unterricht, je höher der Bildungsabschluss der Eltern ausfällt.1 Eine erste Herausforderung besteht also darin, wirklich in die Breite der Gesellschaft hineinzuwirken. Diesbezüglich bieten sich Kooperationen von Musikschulen mit Tageseinrichtungen für Kinder an, wie sie bereits in großer Zahl existieren,2 wenngleich die Span­ne hier von echter inhaltlicher Abstimmung und Zusammenarbeit bis zum beziehungs­losen Nebeneinander reichen mag. Die zweite Herausforderung wird auch in den vielen Untersuchungen und Erfahrungen sichtbar, die besagen, dass der musikalische Lernerfolg der Kinder in hohem Maße von Interesse und Unterstützung der Eltern abhängt.3 Man kann hieraus die große Bedeutung von Elternarbeit ableiten.
Bei näherer Betrachtung wird aber auch deut­lich, dass es die Alltagserfahrungen sind, die in erster Linie prägen. Wo die Anregungen der Musikalischen Früherziehung im familiären Alltag aufgegriffen, weitergeführt oder ergänzt werden, wo sie sich nahtlos in das dort herrschende Wertgefüge einpassen, darf man von vergleichsweise wirksamen und nachhaltigen Lern- und Bildungsprozessen ausgehen. Wo sie hingegen keinen Humus im Alltag finden, sind sie in Gefahr zu verkümmern.
Wenn „EMP in Kindertagesstätten“ neben der Musikalischen Früherziehung einen eigenen Angebotstyp im Bildungsplan der Musikschulen darstellt,4 dann scheint es angezeigt, über die Gestaltung solcher Angebote weiter nachzudenken. Konzeptionen, die die Musik im Alltag von Kindertagesstätten zu verankern suchen, korrespondieren schließlich auch mit dem Selbstverständnis vieler Einrichtungen, die das Lernen auf der Basis von Erfahrungen in alltäglichen Situationen favorisieren; am einschlägigen „Situationsansatz“ orientieren sich nicht zuletzt viele Kita-Konzepte.5
Vor diesem Hintergrund wird in der Fachszene immer wieder über ein „situatives“ musikalisches Arbeiten an Kindertageseinrichtungen nachgedacht.6 An der Hochschule für Musik Saar habe ich im vergangenen Sommersemester in Kooperation mit der Kita Bruchwiese in Saarbrücken ein Projekt mit Studierenden durchgeführt, das die Möglichkeiten solchen situativen Arbeitens praktisch ausloten sollte. Der Leiterin der Kita, Liane Klein, sei auch an dieser Stelle noch einmal herzlich für ihre Offenheit und Unterstützung gedankt. Die sechs Studierenden, die an dem Projekt beteiligt waren, haben ihre Erfahrungen und Reflexionen schriftlich niedergelegt, sodass der Bericht zu großen Teilen aus Zitaten hieraus aufgebaut werden kann.

1 vgl. Michael Dartsch: Studie zu Wirkungen und Vo­raussetzungen der Musikalischen Früherziehung, Bonn 2008; Michael Dartsch: Mensch, Musik und Bildung. Grundlagen einer Didaktik der Musikalischen Früherziehung, Wiesbaden 2010, S. 287 ff.
2 vgl. Michael Dartsch: Außerschulische Musikerziehung, http://www.miz.org/static_de/themenportale/ einfuehrungstexte_pdf/01_BildungAusbildung/dartsch.pdf (Stand 29. Oktober 2012).
3 vgl. etwa Helmut Sonderegger: Beweggründe für den „Lernabbruch“ an Musikschulen. Eine empirische Studie über den Instrumentalunterricht in Vorarlberg, Anif/ Salzburg 1996.
4 vgl. Michael Dartsch: „Musikalische Bildung in der Elementarstufe/Grundstufe. Grundlegende Aspekte der Elementaren Musikpädagogik“, in: Verband deutscher Musikschulen (Hg.): Bildungsplan Musik für die Elementarstufe/Grundstufe, Bonn 2010, S. 25.
5 vgl. etwa Mara Dittmann (Hg.): Werkstatt Situationsansatz in der Kindergartenpraxis. Ein Arbeitsbuch, Weinheim 2000.
6 vgl. Michael Dartsch (Hg.): Musik im Vorschulalter, Kassel, im Druck.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 1/2014.