Rüdiger, Wolfgang
Rausgehen und Musik machen mit unterschiedlichsten Menschen
Robert Schumann Hochschule Düsseldorf: Community Music als partizipatives Gruppenmusizieren
Die Künstlerisch-Pädagogische Ausbildung an der Robert Schumann Hochschule (RSH) folgt „einer sehr weit gefassten Vorstellung von Musikpädagogik“,[1] die vom musikalischen Handeln als soziale Praxis ausgeht und das wertschätzende Miteinander in den Mittelpunkt stellt. Die humanistische Leitidee, den Ausgang vom Menschen zu nehmen, prägt das Musizieren(lernen) ebenso wie das Erproben etlicher Weisen einer künstlerischen Musikvermittlung, die HörerInnen persönlich anspricht, als MitspielerInnen einbezieht und Musik als „Lebenselement“ (Franz Kafka) erfahrbar macht.
Geben StudienanfängerInnen in der Regel „Kunst“ als Berufsziel an,[2] so fragen wir: Was ist Kunst? Warum machen wir Musik? Welche Bedeutung hat das Musizieren für unser Leben, welche Rolle spielen MusikerInnen in der Gesellschaft? Wer wollen wir als Künstler-PädagogInnen sein?
Ein bewährtes Format zur Thematisierung dieser und anderer Grundfragen ist der sogenannte „Music Slam“, ein Lecture Recital im Kleinformat von sieben bis zehn Minuten, in dem jeder und jede Studierende ein kurzes Musikstück im Seminar vorstellt, als gälte es, ein größeres Publikum zu begeistern und Lust aufs Hören zu machen, kurz: Menschen in die Musik und die Musizierenden „verliebt zu machen“.[3] Viel lassen sich die Studierenden dabei einfallen im Wechsel von Spielen, Sprechen, Zeigen, sinnlichem Erleben und Erläutern, gegebenenfalls mit szenischen Anteilen, Bewegung im Raum, und partizipativen Elementen. Von da aus ist es nur ein kleiner Schritt zu größeren Formen künstlerischer Musikvermittlung, verstanden als Stiften von Beziehungen zwischen Menschen und Musiken, Menschen und Menschen im Medium der Musik, die jeder und jede in sich trägt.
Und in logischer Folge dieses weit gefassten Ansatzes von Musikpädagogik beschreiten wir seit einiger Zeit neue Wege, indem wir die künstlerischen und sozialen Potenziale von Musik nicht nur in der Hochschule erproben und entfalten, sondern hinausgehen in verschiedene soziale Räume und Lebenswelten,[4] in denen Menschen wenig Möglichkeit zum Musikmachen haben und ein freies, offenes Miteinander-Musizieren umso mehr Freude bereiten kann. Dieser Schwerpunkt „inklusiver musikalischer Partizipation“[5] begann 2014 mit Musikprojekten in der Alfred-Adler-Klinikschule Düsseldorf, wo Studierende der Künstlerisch-Pädagogischen Ausbildung samt Studienrichtungsleiter mit längerfristig erkrankten schulpflichtigen Kindern und Jugendlichen Musik machen: singen, spielen, improvisieren, Instrumente ausprobieren, Klanggeschichten erfinden und aufführen u. v. m.
Dieses neue Praxisfeld, mit dem wir rausgehen aus der „gehobenen“ bis „abgehobenen“ Klassikblase der Hochschule, zu den Menschen hingehen und so das weit verbreitete Elitedenken in der Musik abbauen, kann als eine Form von Community Music bezeichnet werden;[6] dafür haben wir einen fünfphasigen Zertifikatslehrgang in Kooperation von Hochschule Düsseldorf, RSH und Landesmusikakademie Nordrhein-Westfalen in Heek entwickelt, der sich an Studierende beider Hochschulen sowie an AkteurInnen aus der Berufspraxis richtet.[7]
Ein neues KünstlerInnenbild prägt sich hier aus: das einer reflektierten Musikerpersönlichkeit mit Vermittlungskompetenz und sozialem Engagement, Interesse an Menschen und einem weiten Musikbegriff, in dem sich künstlerisches Können mit Freude am voraussetzungsoffenen Musizieren in Gruppen verbindet. Für die Studierenden der RSH ist der Community-Music-Lehrgang eine wertvolle Chance, mit Studierenden anderer Fachgebiete und Menschen im Berufsleben in Kontakt zu kommen, Musik ins „reale Leben“ zu überführen und ihr Können in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen.
Community Music, in den 1960er Jahren in Großbritannien entstanden, bedeutet Musizieren in Gruppen von „Menschen verschiedener Herkunft, Religion, Bildung, verschiedenen Alters, Geschlechts und Einkommens, mit oder ohne Handikap“, wobei die künstlerischen und sozialen Prozesse gleichwertig sind und die Musik als „Ausdruck einer Gemeinschaft und ihres sozialen Kontextes“ allererst entsteht.[8] Die Intentionen lassen sich mit den fünf Schlüsselbegriffen Menschen, Orte, Partizipation, Vielfalt, Inklusion zusammenfassen;[9] und dies ist es, was wir in unserer von Diversität geprägten Welt mehr denn je brauchen und wozu Hochschulen als Bildungs- und Kultureinrichtungen prädestiniert sind: Orte künstlerischer und sozialer Exzellenz zu sein – offen, inklusiv, für alle da!
[1] Higgins, Lee: „Community Music verstehen – Theorie und Praxis“, in: Hill, Burkhard/Bánffy-Hall, Alicia de (Hg.): Community Music. Beiträge zur Theorie und Praxis aus internationaler und deutscher Perspektive, Münster; New York 2017, S. 45-61, hier: S. 46.
[2] Grosse, Thomas: „Community Music und künstlerisch-pädagogische Fächer an deutschen Musikhochschulen“, in: Diskussion Musikpädagogik, 2020, Heft 87, S. 41-45, hier: S. 44.
[3] Reinhart von Gutzeit in einem Gespräch mit dem Verfasser über Gesangsklassenkonzerte von Barbara Bonney an der Universität Mozarteum Salzburg.
[4] vgl. Stibi, Sonja: „Out and about! Neue Hör- und Spielräume im Sinne von Outreach“, in: üben & musizieren, 37. Jg., 2020, Heft 2, S. 6-9.
[5] Higgins, S. 46.
[6] zu Begriff, Arbeitsweisen, Historie, Verortung etc. vgl. Bánffy-Hall, Alicia de: „Kulturelle Demokratie. Elemente und Arbeitsformen in der Community Music“, in: üben & musizieren, 37. Jg., 2022, Heft 5, S. 6-9; Bánffy-Hall, Alicia de/Haak-Schulenburg, Marion/Eberhard, Daniel Mark: Community Music, in: Deutsches Musikinformationszentrum 2021, https://miz.org/de/beitraege/community-music (Stand: 5.6.2023); Banffy-Hall, Alicia de/Hill, Burkhard: Community Music: Eine Einführung, in: KULTURELLE BILDUNG ONLINE 2017, https://www.kubi-online.de/artikel/community-music-einfuehrung (Stand: 5.6.2023).
[7] Information und Anmeldung s. https://lma-nrw.de/termindaten/2136 (Stand: 4.6.2023).
[8] Hill, Burkhard: „Community Music als musikalisches und soziales ‚Projekt‘“, in: Diskussion Musikpädagogik, 2020, Heft 87, S. 45-50, hier: S. 46.
[9] Higgins, S. 46 f.