© Katarzyna Bialasiewicz

Oberschmidt, Jürgen

Reden über Musik

Über das nie endende Bedürfnis, das Unsagbare zur Sprache zu bringen

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 4/2019 , Seite 06

Wer Musik in Sprache zu fassen versucht, begibt sich auf dünnes Eis: Strukturanalysen fassen das Mecha­nische und Atomistische der Musik, mit ihren Fachbegriffen kästeln sie das Kunstwerk ein und reduzieren es auf ein spärlich Sagbares. Beschrei­bungen des Ausdrucks bedienen sich ­hingegen oft eines poetisch-dichterischen Zugangs. Doch kann die eine oder andere Sprache überhaupt zum Kern der Musik vordringen?

Musik und Sprache gelten als natürliche Partner, über deren gemeinsamen Ursprung nicht erst seit Johann Gottfried Herders Abhandlung über den Ursprung der Sprache (1772) diskutiert werden dürfte und die trotz der nie endenden Diskussion, ob die Musik selbst nun überhaupt eine Sprache oder allenfalls sprachähnlich sei, häufig als unterschiedliche Dimensionen eines einzigen Phänomens angesehen werden. Im frühen 19. Jahrhundert wird die Musik gar zur Metapher, die immer dort bemüht wird, wo unsere Wort­sprache ihre Macht verliert: „Was aber folgt daraus: dass ich überall, wo die Sprache aufhört, dem Musikalischen begegne“, so Søren Kierkegaard. „Dies ist wohl der vollkommenste Ausdruck dafür, dass die Musik überall die Sprache begrenzt.“1
„Wo die Sprache aufhört, fängt die Musik an“, wusste wohl E. T. A. Hoffmann, obwohl seine eher blass anmutenden Kompositionen weit hinter dem literarischen Schaffen seiner fiktiven Figur des schillernden Kapellmeisters Johannes Kreisler als literarisches Alter Ego zurückstanden.

Macht und Ohnmacht der Sprache

Immer, wenn es um die Versprachlichung von Musik geht, rückt sofort jene vielbeschworene Grenze des Unsagbaren in den Blick, die man nicht mit Worten überschreiten kann oder darf: Macht und Ohnmacht der Sprache gehören hier also irgendwie zusammen. Und so versenken wir uns in die Partitur, wenden uns jenem Sagbaren in dem Wissen zu, dass es auf der anderen Seite des Lettners jenen geheiligten Bereich gibt, den wir mit unseren irdischen Worten nicht zu betreten haben. Worin gründet sich dennoch dieses große Bedürfnis nach sprachlichen Symbolisierungen? Welchen Zweck erfüllt hier die Kommunikation mit anderen, sei es nun beim Spielen oder bloßen Zuhören?
Musik ist flüchtig, sie hat, wie Wolfgang Rihm es treffend benennt, keinen festen Ort: „Wo ist der Ort der Musik? Ist es die Partitur? […] Ist es die Aufführung? Der Augenblick, wo der Ton auf einem Instrument gegriffen wird, der Augenblick, wo der Ton das Instrument verlässt, der Augenblick, wo der Ton ein Ohr, einen Körper trifft, wo er sich in einem Hörer zur Musik zusammensetzt? Wo ist die Musik in der Zwischenzeit? Ist sie Welle, Energie, Stoff, Gehalt, Metamorphose?“2 Als Hörer erleben wir Musik als flüchtig flutende Luft und doch sind wir stets bemüht, ihr einen prominenten Platz in unserem inneren Besitz zuzuweisen, den wir stets mit neuen Erfahrungen bereichern, pflegen und erweitern möchten. Was bedeutet vor diesem Hintergrund die ­Erfahrung einer Musik, die uns bei aller Sprachgewalt ohnmächtig macht, die Konfrontation mit dem Nichtsagbaren, das uns nach einem Konzert staunend zurücklässt? Ist es ausschließlich die Musik selbst, die uns in ihrer subjektiven Intensität und allein aus dem Anlass ihrer Wahrnehmung berührt? Liegt in unserem Unvermögen, Musik zur Sprache zu bringen, ein existenzielles Defizit oder ist es die Sprache, die unser Erleben behindert und ein Verstehen gar verstellt?
„Die Sinne denken“, ließe sich in Anlehnung an Hans Zenders gleichnamiges Buch postulieren, wenn Selbstreflexionen des Komponisten auf den kalkulierenden Verstand eines Hörers treffen, die Musik selbst in ihrer begrifflichen Unbedürftigkeit aber ohne ein zudringliches Reden auskommt.3 In seinem Roman Alte Meister persifliert Thomas Bernhard solch ein Zerreden der Kunst, die eigentlich für sich sprechen möchte, indem er seinen Protagonisten, den Musikkritiker Reger, eine Führung im Kunsthistorischen Museum beobachten lässt: „Sie redete, wie alle anderen Führer im Kunsthistorischen Museum, Unsinn, es war nichts als das übliche üble Kunstgeschwätz, das sie in die Köpfe ihrer […] Opfer hineinstopfte. Da sehen Sie, sagte sie, sehen Sie den Mund, da, sehen Sie, sagte sie, diese weitausladenden Ohren, da, sehen Sie dieses zarte Rosa auf der Engelswange, da, sehen Sie im Hintergrund den Horizont, als ob nicht jeder auch ohne diese stupiden Bemerkungen alles das auf den Tintorettobildern gesehen hätte. Die Führer in den Museen behandeln die ihnen Anvertrauten doch immer nur als Dummköpfe, immer als die größten Dummköpfe, während sie doch niemals solche Dummköpfe sind, sie erklären ihnen vornehmlich immer das, was ja naturgemäß ganz und gar deutlich zu sehen ist und das also gar nicht erklärt zu werden braucht, aber sie erklären und erklären und zeigen und zeigen und reden und reden.“4

1 Søren Kierkegaard: Entweder – Oder, übers. von Heinrich Fauteck, München 1988, S. 84.
2 Wolfgang Rihm: ausgesprochen. Schriften und Gespräche, Bd. 1, Mainz 1997, S. 151.
3 Hans Zender beruft sich in seinen Schriften immer wieder auf die Kunstlehre Georg Pichts, der in Kunst und Mythos (Stuttgart 51996, S. 336ff.) diesen Begriff geprägt hat.
4 Thomas Bernhard: Alte Meister, Frankfurt am Main 1988, S. 130.

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