Steffen-Wittek, Marianne / Dorothea Weise / Dierk Zaiser (Hg.)
Rhythmik – Musik und Bewegung
Transdisziplinäre Perspektiven
Die thematische und quantitative Fülle dieses Bandes stellt den Rezensenten vor die Herausforderung, einen gerafften Überblick mit nur wenigen genaueren Ausführungen zu verbinden. Der Inhalt entfaltet sich in vier Teilen. In „Geschichte und Gegenwart“ (Teil 1) werden historische Aspekte der Rhythmik reflektiert. Den Reigen eröffnen Daniel Zwiener mit einer sehr gut komprimierten Darstellung der Anfänge in Hellerau und Gunhild Oberzaucher-Schüller mit dem fantasievollen Dialog „Rethinking Jaques-Dalcroze“. Brigitte Steinmann berichtet über die „Genese der Rhythmik als Hochschulfach“ und Dorothea Weise resümiert unter dem Titel „Rhythmik in Bewegung“ die weitere Entwicklung der Rhythmik nach Hellerau. Dabei kommt allerdings die internationale Verbreitung und Forschung zu kurz.
Einige Versuche über „Fachtheoretische Ansätze“ (Teil 2) zeigen Defizite, wie sie die deutsche Rhythmik seit Elfriede Feudel verfolgen. Das betrifft die Frage, was eine Fachtheorie leisten kann, sowie eine präzise Terminologie. Dagegen positioniert sich positiv der fachwissenschaftlich fundierte Aufsatz „Real Time Subtleties. Jazz, Groove und Drumset im Kontext der Rhythmik“ von Marianne Steffen-Wittek. Sie zeigt, dass Musik im afroamerikanischen Kontext motional verstanden wird, was meines Erachtens Rhythmik als Fach eigentlich überflüssig machen würde. Außerdem erinnert Steffen-Wittek die RhythmikerInnen an das peinliche Defizit ihres Fachs im Hinblick auf die in der Hörwelt dominierenden populären Musikarten. Zahlreiche Faktenbezüge bringt auch der Blick von Cheng Xie auf die Rhythmik in China. Es ist der einzige Beitrag, der Substanzielles zum Aspekt der Interkulturalität der Rhythmik bringt.
„Transdisziplinäre Bezüge“ (Teil 3) bilden den reichhaltigsten Teil des Bandes und überzeugen durch einige Aufsätze, die aus wissenschaftlicher Sicht formuliert sind oder ein klares Theoriekonzept erkennen lassen. Das betrifft die neurobiologische Perspektive von Franz Mechsner und vor allem die lerntheoretische Perspektive im hervorragenden Beitrag von Maria Spychiger. Elisabeth Theison greift mit ihrem Beitrag „Körper und Bewegung als Konstituenten musiktheoretischen Denkens“ erneut das Hauptanliegen von Dalcroze (in seiner Zeit als Konservatoriumslehrer in Genf) auf und behandelt Möglichkeiten einer Rückbindung der körperlosen Musiktheorie an die Bewegung. Auch das äußerst differenzierte didaktische Modell zu Ravels Pavane pour une infante défunte von Marianne Steffen-Wittek und Christhard Zimpel dient diesem Ziel. Die „Rhythmik-Praxeologie“ (Teil 4) dürfte all denen Anregungen bieten, die in Praxis und Lehre beheimatet sind.
Resümee: Die Publikation ist es wert, gründlich studiert und diskutiert zu werden. Dabei könnte man fragen, ob in diesem Band die Musik nicht zu sehr hinter die Bewegung zurücktritt.
Michael Kugler