Heinemann, Michael

Richard Strauss

Lebensgeschichte als ­Musiktheater

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Dohr, Köln 2014
erschienen in: üben & musizieren 5/2014 , Seite 53

Schon der erste Satz von Heinemanns Buch macht klar, worum es dem Autor geht: „Strauss stört. Sein Erfolg ist ein Skandal. Nicht erst Salome wird zum Signum des Provokateurs, der im Kaiserreich aneckt und sich 30 Jahre später gemein macht mit den Nationalsozialisten.“
Heinemann durchleuchtet das Spannungsfeld „zwischen ästhetischem Anspruch und einer Konzilianz, die nicht zuletzt merkantil motiviert war“. Er legt die „Ambivalenz, die Strauss’ Persönlichkeit schillernd, mitunter gar suspekt erscheinen lässt“, frei und macht deutlich, dass Strauss „in seinen Werken stets von sich und seiner Situation redet“, allerdings nie unmaskiert, mitunter „nicht ohne Schalk, nicht selten gebrochen durch Modi des Ironischen“.
Heinemann belegt dies anhand brillanter Einzelanalysen der Werke des Komponisten, sowohl seiner sinfonischen Dichtungen, die er als „Vorspiel im Orchester“ begreift, als auch seiner Opern, die er chronologisch von Guntram bis Capriccio abhandelt. Er korrigiert manche Vorurteile und verblüfft immer wieder durch geistreiche Einsichten. Vor allem aber widerlegt das Buch alle Behauptungen, der Publikumsliebling Strauss sei ein Konservativer gewesen, denn Heinemann macht deutlich, wie souverän Strauss „über Versatzstücke der Musikgeschichte“ verfügte und gerade „im Kontrast von Schönklang und beweglichem, dissonant-zerrissenem Tonsatz“ auch nach Salome und Elektra immer wieder provozierte mit einer hoch differenzierten Musik, die seinen Libretti stets eine intelligente semantische Ebene hinzufügte.
„Wenn es denn eine Konstante im Künstlerleben Strauss’ gibt, so ist es diese: nicht seine Musik den Erfordernissen der Gegenwart anzupassen, sondern die Gegebenheiten der Zeit in seinen Kompositionen zu reflektieren, einzuholen und schließlich aufzuheben in einer Perspektive ästhetischer Autonomie.“ Dies gelte nicht nur als Voraussetzung von Straussens Musiktheaterschaffen, sondern auch als „Legitimation selbst zu Zeiten der Barbarei“. Der Autor bittet zwar um Nachsicht mit dem bewunderten Komponisten, streitet aber nicht ab, dass Strauss ein Künstler war, „der um seiner Kunst und auch des Profits willen fragwürdige Kompromisse mit Diktatoren einging und damit eine Hypothek auf sich lud, deren Last nicht mehr getilgt werden kann“.
Mit seiner unpolemischen, sachlichen und kenntnisreichen Lesart der Strauss-Werke vor dem Hintergrund des Strauss-Lebens gelingt Heinemann eine der differenziertesten Strauss-Darstellungen seit Langem. Sein Buch ist (neben dem kürzlich erschienenen Strauss-Handbuch) die lu­zideste und empfehlenswerteste Neuerscheinung im Strauss-Jahr.
Dieter David Scholz