© Eva-Maria Freyer

Weiß, Olga

Schüler-Feedback

Eine dialogbasierte Methode der schülerorientierten Unterrichtsentwicklung

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 3/2017 , Seite 40

Feedback als dialogisches Prinzip der Unterrichtsentwicklung bietet neue Chancen und methodische Hilfestellungen zur Verwirklichung eines schülerorientierten Unterrichts.

Wie sollte ein Unterricht aussehen, der „Men­schen befähigt, ihre eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen, dafür einzustehen und gegebenenfalls auch klare Grenzen zu ziehen“?1 Die „Ermöglichungsdidaktik“2 begegnet dieser Herausforderung mit der Forderung nach einer explorativen und wertschätzenden Grundhaltung seitens der Lehrperson sowie einer Methoden- und Angebotsvielfalt. Die Lehrperson wird verstanden als Ermöglicherin und Begleiterin eines selbstbestimmten Lernprozesses. In der Praxis erspüren Lehrkräfte jedoch tendenziell die individuelle Passung ihrer Handlungsweise, stellen eine Diagnose und entscheiden im Alleingang über den weiteren Unterrichtsverlauf, anstatt sich kontinuierlich mit dem Schüler oder der Schülerin über deren Wahrnehmung des Unterrichts, ihre Widerstände und Wünsche zu verständigen.
Wenn allerdings erst die gelingende Selbstreflexion und Selbstwahrnehmung des Schülers und darauf aufbauend seine kommunikative Stärke selbstbestimmtes Lernen ermöglichen, gilt es zum einen über Methoden nach­zudenken, die diese Kompetenzen entwickeln, zum anderen über Wege, die es erlauben, die Schülerperspektive systematisch in den Unterricht zu integrieren.

Was ist Feedback?

In der Interaktion zwischen SchülerIn und Leh­rerIn ereignen sich prinzipiell ständig spontane Rückmeldungen etwa in Form von mimischen und verbalen Äußerungen oder auch Konzentrationseinbrüchen. Solange jedoch SchülerIn und LehrerIn „fast ausschließlich auf ihre zufälligen und individuellen Wahrnehmungen und Interpretationen verwiesen“ sind, können Rückmeldungen „in dieser naturwüchsigen Form […] nur begrenzt als Hinweise zur gezielten Gestaltung von Arbeitsprozessen und -beziehungen genutzt werden“.3 Entscheidend für eine feedback­basierte Unterrichtsentwicklung ist es also, die Schüler-Rückmeldungen ernst zu nehmen und gemeinsam Konsequenzen für den weiteren Unterrichtsverlauf zu erarbeiten.
Feedbackbasierter Unterricht nutzt das Inst­rument des Feedbacks und der Unterrichtsevaluation, um die Schüler-Lehrer-Beziehung zu stärken und den Schüler zum „bewussten Mitakteur […] des Lehr- und Lernprozesses“ zu machen.4 Im Zusammenhang mit Schulklassenunterricht definiert Johannes Bastian Feedback verfahrensorientiert: „Schüler-Feed­back ist ein regelgeleitetes und systematisches Verfahren zur gemeinsamen Reflexion, Evaluation und Entwicklung von Unterrichten und Lernen, also der eigenen Praxis: Schüler/innen und Lehrer/innen kommen zu einem gemeinsamen und öffentlichen Nachdenken darüber, wie sie arbeiten, was sie ­arbeiten und wie sie sich aufeinander be­ziehen.“5
Feedback ist also ein unterrichtsbegleitender Prozess gemeinsamer Unterrichtsbeobachtung, -bewertung und -veränderung. Darin wird der Schüler als Experte seines eigenen Lernens respektiert und als solcher in die Unterrichtsplanung und -gestaltung systematisch miteinbezogen.

Der Feedbackprozess

Der Feedbackprozess verläuft idealtypisch in drei Phasen:
1. der gemeinsame Austausch (Feedback geben und emp­fangen),
2. die Auswertung der Ergebnisse und die Formulierung von Konsequenzen und Zielen (Kernphase),
3. die Überprüfung der Umsetzung von Vereinbarungen (Evaluation).
Diese drei Phasen umrahmt ein kontinuier­licher Prozess der Selbst- und Fremdbeobachtung.
Das Gespräch erweist sich als das wichtigste Medium eines dialogbasierten Feedbackverfahrens.6 Es dient bereits in der ersten Phase des Feedbackprozesses der „Klärung […] meist unterschiedlicher Erwartungen an und Bewertungen von Arbeits­praktiken und -beziehungen“.7 Feedback zu geben bedeutet dabei, „dass sich zwei oder mehrere Personen in direkten und offenen, mit angemessenen Methoden strukturierten Gesprächen ­einander Beobachtungen und Bewertungen über eine bestimmte Situation oder Fragestellung mitteilen, um daraus für den gemeinsamen Umgang mit diesem Thema zu lernen“.8
Da Instrumental- und Gesangsunterricht ein komplexes Geflecht von Beziehungen aufweist, ergibt sich eine umfassende Liste möglicher Themenfelder. Diese reicht von der musikalischen Sozialisation und den Erwartungen, Wünschen und Zielen des Schülers und Lehrers über die Selbstwahrnehmung und Selbststeuerung des instrumentenbezogenen Lernens sowie die Passung des Lehr- und Lernprozesses anhand konkreter Unterrichtssituationen bis hin zu musikimmanenten Vorstellungen und Bewertungskriterien, dem Üben zu Hause, der Lebens­situation des Schülers oder der Schülerin usw. Über diese Themenfelder und Arbeitsbeziehungen wird im Rahmen eines feedbackbasierten Unterrichts regelmäßig Auskunft gegeben werden, sodass sich für Lehrkräfte und SchülerInnen die sich naturgemäß wandelnden Be­zie­hungs­­­strukturen transparent gestalten und damit be­arbeitbar bleiben.
In der zweiten Arbeitsphase der Lösungsfindung und Zielvereinbarung sollte der Schüler oder die Schülerin weiterhin einbezogen bleiben, denn entscheidend für den feedbackbasierten Unterricht ist die gemeinsame Auswertung der Feedback-Ergebnisse. Das heißt, dass die Lehrperson nicht im Alleingang aus dem Feedback Konsequenzen formuliert und umsetzt, sondern den Schü­ler oder die Schülerin in diesen Prozess miteinbezieht, indem sie den Lernenden dazu auffordert, „selbst Konse­quenzen zu ziehen oder Ideen zu entwickeln, wie [seine] Appelle in die Realität umgesetzt werden können“.9
In der letzten Phase der Evaluation der Unterrichtsentwicklung soll den SchülerInnen schließlich ebenso Verantwortung übertragen werden, indem sie eigenständig das Unterrichtsgeschehen in Bezug auf die Einhaltung der Vereinbarungen beobachten und bewerten. Mit dieser letzten Phase schließt sich ein Kreis, denn ein neues Feedback­gespräch findet hier seinen Anfang. Damit ist auf die prinzipielle Unabgeschlossenheit des Feedbackprozesses verwiesen.
Umfassende methodische Anleitungen für die Realisierung eines systematischen Feedbackverfahrens bieten unter anderem Johannes Bastian, Arno Combe und Roman Langer,10 dies allerdings nur für den Klassen­un­ter­richt an Schulen. Zahlreiche der dort vor­ge­stellten Feedbackmethoden sind jedoch mit geringen Anpassungen auch im instrumentenbezogenen Einzelunterricht anwendbar und reichen von kurzen Feedbackrunden am Ende einer Stunde über längerfristig angelegte Lern­tagebücher bis hin zu krea­tiven Methoden wie Rollentausch, szenisches Spiel oder Arbeiten mit Bildern. Darüber hinaus bietet Klaus W. Vopel11 eine umfassende drei­bändige Reihe mit detaillierten Anleitungen zu Interaktionsspielen mit Kindern, die gut geeignet sind, um grundlegende Fähigkeiten wie Selbstwahrnehmung und Selbstbewusstsein für die feed­backbasierte Unterrichtsentwicklung aufzubauen. Des Weiteren stellen auch feedbackbezogene Standard­werke aus dem Manager-Kontext (u. a. Jörg Fengler12) einen für den Einzelunterricht nutzbaren Methodenpool zur Verfügung.
Der oben beschriebene Aushandlungs- und Verständigungsprozess kann und soll sich im Instrumental- und Gesangsunterricht jedoch jederzeit auch spontan, eventuell an einem Problem, einer gelungenen Unterrichtsphase oder Ähnlichem entzündend, quasi naturwüchsig in Gang kommen. Diese Form des Feedbacks ist methodisch wenig strukturiert, durch die Nähe zum Unterrichts­geschehen meiner Erfahrung nach jedoch sehr wirkungs­voll. Als dialogisches Prinzip der Unterrichtsentwicklung verstanden, bietet Feedback die Chance, feedback­basierte Maßnahmen selbst zu entwickeln und situativ anzupassen. Die Praxis zeigt sogar, dass sich „das ‚Zurecht-Schnippeln‘ und ‚Puzzeln‘ von Inst­rumenten, die Anpassung von Vorlagen auf die eigene Situation ‚außerordentlich bewährt‘ hat“.13

Grundprinzipien

Die hier aufgeführten Grundprinzipien feedbackbasierten Unterrichts sollen Lehrenden Orientierung geben bei der Entwicklung eigener Feedbackmethoden bzw. eines eigenen feedbackbasierten Unterrichtsstils.
1. Die gemeinsame Verantwortung für einen gelungenen Unterricht erkennen und umsetzen: das heißt, die Mündigkeit des Schülers zu fördern, ihn als Experten seines eigenen Lernens auftreten zu lassen und „als Partner in die Aufgabe der Verbesserung des Unterrichts“14 einzubinden. An die Stelle der Alleinverantwortlichkeit der Lehr­kraft für den Unterricht tritt das dialogische Arbeiten.
2. Eine Beziehungs- und Gesprächskultur auf Augen­höhe etablieren: eine offene, vertrauensvolle und respekt­volle Atmosphäre aufbauen, die Rückmeldungen jeder Art zulässt, und „Gesprächsformen lernen, in denen gemeinsam Ideen und Vereinbarungen für eine Verbesserung von Lernen und Lehren entstehen können“.15
3. Dialogische Kompetenz und Veränderungsbereitschaft entwickeln: Hier ist die Bereitschaft der Lehrperson gemeint, ihren Unterricht zu verändern und Ziele, Inhalte, Methoden usw. an die Schülerbedürfnisse anzupassen.
4. Gestaltungspotenzial nutzen: die Bereitschaft des Schülers oder der Schülerin fördern, durch den eigenen Beitrag den Unterricht aktiv mitzugestalten und Verantwortung für das eigene Lernen zu übernehmen.
5. Selbstbeobachtungskompetenzen entwickeln: Die SchülerInnen werden dazu angeleitet, ihr eigenes Lernen und Verhalten im Unterricht und zu Hause zu beobachten, ihre Erwartungen und Bedürfnisse in Bezug auf das Unterrichtsgeschehen wahrzunehmen. Die Lehrperson beobachtet wiederum ihr Lehren im Unterricht und ihr eigenes Lernen im Rahmen ihrer künstlerischen und pädagogischen Laufbahn, nimmt ihre Erwartungen, Lehr­absichten und Wünsche wahr.
6. Unterrichtsreflexivität als Herzstück des feedback­basierten Unterrichts: SchülerIn und LehrerIn treten in einen ständigen gemeinsamen Austausch über ihre Beobachtungen (gegebenenfalls unter einer konkreten Fragestellung) mit dem Ziel, gemeinsam Konsequenzen daraus abzuleiten und später zu überprüfen, ob die gemeinsamen Vereinbarungen eingehalten wurden. Für SchülerInnen und LehrerInnen gilt es gleichermaßen, eine Unterrichtsreflexivität einzuüben, die Voraussetzung ist‚ „wenn die Selbstbestimmung glaubwürdiges Ziel ist“.16
7. Erfolg motiviert: Feedback wird als gelungen wahrgenommen, wenn Schüler und Lehrer persönlich den Erfolg der geteilten Verantwortung erfahren.17

Chancen und Grenzen

Welche Impulse kann feedbackbasierter Unterricht für die Verwirklichung selbstbestimm­ten Lernens konkret geben? Nach Fengler führt Feedbackarbeit „zu einem Zuwachs an Einfluss sowohl beim Empfänger wie beim Geber von Rückmeldungen“.18 Mit anderen Worten: Die SchülerInnen lernen zunehmend, ihre Bedürfnisse zu artikulieren – ihr Redeanteil steigt –, sich gegenüber der Lehrkraft zu emanzipieren und ihr Lernen selbsttätig zu steuern; die Lehrperson kann wiederum eine neue Reich­weite ihrer Vermittlungsleistung erfahren. Die Identifikation mit der Aufgabe und den Unterrichtszielen kann zu mehr ­Engagement seitens des Schülers oder der Schülerin, aber auch seitens der Lehrkraft führen. Feedback vermag also die Motivation und Leistungsbreitschaft zu stärken.
Von zentraler Bedeutung ist darüber hinaus, dass kontinuierliche Feedbackarbeit „bei der Fehlersuche“ helfen kann.19 Dekonstruktive Prozesse, „die oft erst bemerkt werden, wenn die Entwicklung bereits umgeschlagen ist (etwas ‚reißt ein‘ – ‚nutzt sich ab‘ – ‚nimmt überhand‘ – ‚haben wir von Anfang an so gemacht, geht nicht anders‘)“,20 können früher erfasst und korrigiert werden. Ebenso fördert Feedback „persönliche Lernprozesse [und] hilft bei der Selbsteinschätzung“21 sowohl seitens des Schülers als auch des Lehrers und ist damit ein wichtiges Element der Persönlichkeitsentwicklung im Unterricht. Es bildet (Selbst-)Beobachtungs- und Be­wertungs­kompetenzen aus, durch welche die gemeinsame Unterrichtsgestaltung erst einen sinnvollen Rahmen erhält. In Bezug auf die Schüler-Lehrer-Beziehung kann Feedback Transparenz schaffen sowie Offenheit, Ehrlichkeit und Vertrauen stärken.
Als Allheilmittel schülerorientierten Unterrichts kann Feedback jedoch nicht dienen, zu komplex ist das Unterrichtsgefüge im Instrumental- und Gesangsunterricht. So bleiben „pädagogische Qualitäten wie Aufmerksamkeit, Beobachtungsfähigkeit und […] Intui­tion“,22 umfassende methodische Kompeten­zen, eine explorative und menschenliebende Haltung sowie die Fähigkeit, den Schü­lerInnen neue Horizonte zu öffnen und deren Begeis­terung zu wecken, weiterhin unverzichtbare Merkmale einer Lehrerpersönlichkeit. Die Rückmeldung des Schülers oder der Schülerin kann diese und weitere Kompetenzen nicht ersetzen, sondern lediglich ergänzen und dabei helfen, Lernbedürfnisse und -voraussetzungen, oder, mit Mahlert gesprochen,23 das angestrebte Ziel und den Ausgangspunkt des Wegsuchenden einzukreisen, um dem Ideal des schülerorientierten Unterrichts und selbstbestimmten Lernens einen Schritt näherzukommen.

1 Erna Ronca: Fis, Schätzchen! 6 Klaviergeschichten, Einsiedeln 1995, S. 148.
2 Ulrich Mahlert: Wege zum Musizieren. Methoden im Instrumental- und Vokalunterricht, Mainz 2011, S. 37.
3 Johannes Bastian/Arno Combeo/Roman Langer: ­Feedback-Metho­den. Erprobte Konzepte, evaluierte ­Erfahrungen, Weinheim 2003, S. 150 f.
4 ebd., S. 15.
5 ebd., S. 173.
6 vgl. ebd., S. 108.
7 ebd., S. 166.
8 ebd., S. 89.
9 ebd., S. 35.
10 Johannes Bastian/Arno Combe/Roman Langer: ­Feedback-Metho­den. Erprobte Konzepte, evaluierte ­Erfahrungen, Weinheim 2003.
11 Klaus W. Vopel: Interaktionsspiele für Kinder. Affek­tives Lernen für 8- bis 12-Jährige, Teil 1-3, Salzhausen 1994.
12 Jörg Fengler: Feedback geben. Strategien und Übungen, Weinheim 2009.
13 Joachim Hermann/Christoph Höfer: Evaluation in der Schule – ­Unterrichtsevaluation, Gütersloh 1999, S. 39; zitiert nach Bastian et al., S. 95.
14 Meinert A. Meyer/Ralf Schmidt (Hg.): Schülermitbeteiligung im Fachunterricht, Opladen 2000; zitiert nach Bastian et al., S. 13.
15 Bastian et al., S. 38.
16 Wolfgang Schulz: „Selbstständigkeit – Selbstbestimmung – ­Selbstverwaltung: Lernziele und Lehrziele in Schulen der Demokratie“, in: Pädagogik, 6, 1990, S. 34-40; zitiert nach Bastian et al., S. 15.
17 vgl. Bastian et al., S. 100.
18 Fengler, S. 22.
19 ebd.
20 Bastian et al., S. 96.
21 Fengler, S. 22.
22 Mahlert, S. 59.
23 ebd., S. 35.

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