Gouvy, (Louis) Théodore

Sérénade vénitienne

für Viola und Klavier, hg. von Wolfgang Birtel

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Ponticello Edition, Mainz 2018
erschienen in: üben & musizieren 5/2018 , Seite 56

Manche Komponisten waren große Meister, aber sie fanden weder zu Lebzeiten noch bei der Nachwelt die verdiente Anerkennung. Zu ihnen zählt Théodore Gouvy. Seine aus Belgien stammenden Vorfahren waren in Saarbrücken zu Wohlstand und Einfluss gekommen. Kulturell orientierte er sich an Frankreich und Deutschland. Gouvy studierte in Paris Jura, durfte aber kein Examen machen, da er preußischer Staatsbürger war. Deshalb konn­te er auch nicht am dortigen Conservatoire Musik studieren. So nahm er Privatunterricht. Dies ist ein Grund dafür, dass er im französischen Musikleben ein Außenseiter blieb.
Gouvy wird vorgeworfen, dass er über seine Vorbilder – Haydn, Beethoven, Mendelssohn, Schumann – nicht hinausgekommen wäre. Doch entstand dieses Vorurteil nicht genau deshalb, weil seine Werke kaum gehört wurden und so deren Eigenarten nicht erkannt werden konnten? Dass seine Musik wieder gespielt wird, dafür setzt sich nun die Ponticello Edition ein und macht Gouvys Sérénade vénitienne wieder zugänglich.
Sie ist in der Art einer Barcarole komponiert: Der Pianist spielt harfenartige Arpeggi in der linken Hand. Sein Part ist zentral für die Wirkung des Stücks; denn in ihm spielen sich die Harmonik, die dynamischen Veränderungen, die Crescendi und Decrescendi und die Tempowechsel ab. In der Betonung des Klangmalerischen, der Klangfarben und -schattierungen zeigt sich französischer Einfluss.
Die Melodie in der Viola ist kein simples Lied. Vielmehr hat sie einen Aufbau, der aus einem Deklamieren am Anfang zu einem größeren Bogen findet, und dabei nicht symmetrisch ist, sondern fließend und sich stets verändernd; auch dies ist für die französische Musik typisch.
Technisch ist der Violapart ziemlich einfach: Es ist kein Spiel in hohen Lagen notwendig, vielmehr könnte man fast alles in der ersten Lage meistern, was aber freilich aus musikalischen Gründen nicht ratsam ist. Gouvy bevorzugt die tiefen und mittleren Register der Viola, die G- und D-Saite. Grifftechnisch ergeben sich im E-Dur-Teil dann einige Herausforderungen und die Notwendigkeit zum Lagenspiel.
Doch die eigentliche Schwierigkeit ist die musikalische Gestaltung: Häufig stehen schnellen Zweiunddreißigstel-Figuren lange Töne gegenüber, die mit einer differenzierten Veränderung der Dynamik gestaltet werden müssen. Tonwiederholungen verbunden mit einem Crescendo sind Ausdruck von Erregung und Dramatik. Um dies überzeugend dar­stellen zu können, ist die Bogenhand gefordert, insbesondere ein Legatospiel, das zu vielfältigen Veränderungen der Lautstärke und des Timbres fähig ist.
Ob als Übestück oder für den Vortrag beim Konzert: Gouvys Sérénade ist eine wichtige Bereicherung des ziemlich kleinen Viola-Repertoires aus dem 19. Jahrhundert und ein Dokument des Dialogs zwischen französischer und deutscher Musik.
Franzpeter Messmer