Ulrich, Benjamin
Sicheres Taktgefühl
Rhythmusübungen im Anfängerunterricht
Ein gutes und sicheres Rhythmus- und Taktgefühl zu vermitteln, ist eine zentrale didaktische Herausforderung für alle Instrumental- und VokalpädagogInnen. Benjamin Ulrich gibt praxisnahe Hilfestellungen, damit möglichst effektiv am rhythmischen Empfinden gearbeitet werden kann.
Jeder Mensch kann ein gutes Rhythmusgefühl entwickeln, doch selbst mit den effektivsten Methoden bedarf es dazu viel Zeit und Übung. Zentral ist, dass die Reihenfolge des Lernens beim Rhythmus zwingend von der Hörvorstellung ausgeht, vom informellen Erleben zum formellen Anleiten und Notenlesen, so wie es Edwin Gordons „Music Learning Theory“ grundsätzlich vorsieht.1 Das bedeutet vor allem, dass jedes begriffliche Erklären mit entsprechender Hörerfahrung und praktischen Rhythmusübungen unterlegt bzw. vorbereitet werden sollte. Eine Sechzehntelnote hat für sich stehend erst einmal sehr wenig Bedeutung. Fließende Rhythmen zu erleben und spielen zu können, macht dagegen in der Regel große Freude.
1. Hören, Erleben, Imitieren
Entscheidend für souveräne rhythmische Unterscheidung und ein sicheres Pulsgefühl ist immer das Hören. Alle SchülerInnen sollten zunächst viele gelungene, rhythmische Erlebnisse sammeln können. Im zweiten Schritt sollte eine aktive Aneignung stattfinden, bevor Rhythmen erst im letzten Schritt theoretisch erklärt werden. Im Idealfall geschehen die ersten Schritte schon in der musikalischen Früherziehung. Jeder Instrumentalunterricht sollte dann regelmäßig im nötigen Maß auditives und entspanntes Erleben und Praktizieren von Rhythmus im Metrum ermöglichen. Diese Lernphasen können sehr gut genutzt werden, um den Unterricht aufzulockern: z. B. in Verbindung mit Körperübungen, Call-and-Response-Verfahren, Bewegung, Trommeln, Dirigieren. Lassen Sie die Kinder z. B. das Metrum mitlaufen, dirigieren oder den Rhythmus trommeln, während Sie etwas spielen.
Leider ist noch immer oft zu beobachten, dass Anfängerunterricht sich mit hohem Zeitanteil kognitiven oder technischen Aspekten (Noten, Tonhöhe etc.) erklärend widmet. Unter diesen Umständen ist jedoch damit zu rechnen, dass nur gut vorgebildete („begabte“) Kinder ein gutes Rhythmusgefühl entwickeln werden. Auf der anderen Seite gibt es viele hervorragende Schlagzeuger und Percussionisten in aller Welt, die nicht oder nur rudimentär Noten lesen können und rein imitierend gelernt haben. Rhythmus und Metrum haben sehr viel mit Erfahrung, Fluss und Durchlässigkeit zu tun. Daher sollten Sie Rhythmen auch möglichst oft körperlich und entspannt erfahrbar machen. Im Idealfall wäre ein neuer Rhythmus erlebt, bevor er in notierten Stücken vorkommt.
2. Rhythmus isoliert üben
Eine eigentlich selbstverständliche, aber – auch von mir – oft vergessene Anforderung ist, dass bei den sehr komplexen Herausforderungen des instrumentalen Lernens keine unrealistischen Erwartungen an rhythmisches und/oder flüssiges Spiel gerichtet werden sollten. Wenn ein Kind z. B. mit Tonhöhe und der entsprechenden Spieltechnik ausgelastet ist, ist eine rhythmische Unterscheidung im Fluss oft nicht gleich möglich. Dagegen können fast alle SchülerInnen recht schnell sogar komplexere Rhythmen imitierend lernen, wenn sie sich ganz entspannt nur darauf konzentrieren können. Effektiv ist beispielsweise imitierendes rhythmisches Sprechen von kurzen Patterns:
Gesprochene Patterns
Auch am Instrument lassen sich viele rhythmische Imitationen leicht umsetzen. Ausgesprochen sinnvoll ist es, sehr sicher beherrschte Tonfolgen (wie z. B. Tonleitern) zu nutzen, um rhythmische Motive oder Abfolgen einzuüben. Entscheidend ist, dass das rhythmisch umzusetzende Tonmaterial sicher – am besten mühelos auswendig – abrufbar ist.
3. Rhythmussprache
Der entscheidende methodische Schritt ist aus meiner Sicht, dass AnfängerInnen immer zuerst mit einer Rhythmussprache im Unterricht lernen:
Rhythmussprache Kodály
Rhythmussprache Paris/Tonika-Do2
Eine Rhythmussprache erscheint auf den ersten Blick vielleicht als unnötiger Umweg und ist leider in Deutschland nicht so verbreitet und vereinheitlicht, dass wir immer kollegial darauf aufbauen könnten.
1 siehe Almuth Süberkrüb: Edwin Gordons „Musik Learning Theorie“ – eine Einführung, www.gordon-gesellschaft.de (Stand: 6.12.2018); Almuth Süberkrüb: „,Üben‘ in der musikalischen Lerntheorie von Edwin E. Gordon“, in: Ulrich Mahlert: Handbuch Üben, Wiesbaden 2007, S. 242 ff.
2 vgl. Martin Losert: „Tabelle Rhythmussprachen“, in: Ulrich Mahlert: Wege zum Musizieren, Mainz 2011, S. 178.
Lesen Sie weiter in Ausgabe 1/2019.