© Inken Kuntze-Osterwind

Ulrich, Benjamin

Sicheres Taktgefühl

Rhythmusübungen im Anfängerunterricht

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 1/2019 , Seite 28

Ein gutes und sicheres Rhythmus- und Taktgefühl zu vermitteln, ist eine zentrale didaktische Heraus­forderung für alle Instrumental- und VokalpädagogInnen. Benjamin Ul­rich gibt praxisnahe Hilfestellun­gen, damit möglichst effektiv am rhythmischen Emp­finden gearbeitet werden kann.

Jeder Mensch kann ein gutes Rhythmusgefühl entwickeln, doch selbst mit den effektivsten Methoden bedarf es dazu viel Zeit und Übung. Zentral ist, dass die Reihenfolge des Lernens beim Rhythmus zwingend von der Hörvorstellung ausgeht, vom informellen Erleben zum formellen Anleiten und Noten­lesen, so wie es Edwin Gordons „Music Learning Theory“ grundsätzlich vorsieht.1 Das bedeutet vor allem, dass jedes begriffliche Erklären mit entsprechender Hörerfahrung und praktischen Rhythmusübungen unterlegt bzw. vorbereitet werden sollte. Eine Sechzehntelnote hat für sich stehend erst einmal sehr wenig Bedeutung. Fließende Rhythmen zu erleben und spielen zu können, macht dagegen in der Regel große Freude.

1. Hören, Erleben, ­Imitieren

Entscheidend für souveräne rhythmische Unterscheidung und ein sicheres Pulsgefühl ist immer das Hören. Alle SchülerInnen sollten zunächst viele gelungene, rhythmische Erlebnisse sammeln können. Im zweiten Schritt sollte eine aktive Aneignung stattfinden, bevor Rhythmen erst im letzten Schritt theoretisch erklärt werden. Im Idealfall geschehen die ersten Schritte schon in der musikalischen Früherziehung. Jeder Instrumental­unterricht sollte dann regelmäßig im nötigen Maß auditives und entspanntes Erleben und Praktizieren von Rhythmus im Metrum ermöglichen. Diese Lernphasen können sehr gut genutzt werden, um den Unterricht aufzulockern: z. B. in Verbindung mit Körperübungen, Call-and-Response-Verfahren, Bewegung, Trommeln, Dirigieren. Lassen Sie die Kinder z. B. das Met­rum mitlaufen, dirigieren oder den Rhythmus trommeln, während Sie etwas spielen.
Leider ist noch immer oft zu beobachten, dass Anfängerunterricht sich mit hohem Zeitanteil kognitiven oder technischen Aspekten (Noten, Tonhöhe etc.) erklärend widmet. Unter diesen Umständen ist jedoch damit zu rechnen, dass nur gut vorgebildete („begabte“) Kinder ein gutes Rhythmusgefühl entwickeln werden. Auf der anderen Seite gibt es viele hervorragende Schlagzeuger und Percussionisten in aller Welt, die nicht oder nur rudimentär Noten lesen können und rein imitierend gelernt haben. Rhythmus und Metrum haben sehr viel mit Erfahrung, Fluss und Durchlässigkeit zu tun. Daher sollten Sie Rhythmen auch möglichst oft körperlich und entspannt erfahrbar machen. Im Idealfall wäre ein neuer Rhythmus erlebt, bevor er in notierten Stücken vorkommt.

2. Rhythmus isoliert üben

Eine eigentlich selbstverständliche, aber – auch von mir – oft vergessene Anforderung ist, dass bei den sehr komplexen Herausforderungen des instrumentalen Lernens keine unrealistischen Erwartungen an rhythmisches und/oder flüssiges Spiel gerichtet werden sollten. Wenn ein Kind z. B. mit Tonhöhe und der entsprechenden Spieltechnik ausgelastet ist, ist eine rhythmische Unterscheidung im Fluss oft nicht gleich möglich. Dagegen können fast alle SchülerInnen recht schnell sogar komplexere Rhythmen imitierend lernen, wenn sie sich ganz entspannt nur darauf konzentrieren können. Effektiv ist beispielsweise imitierendes rhythmisches Sprechen von kurzen Patterns:

Gesprochene Patterns

Auch am Instrument lassen sich viele rhythmi­sche Imitationen leicht umsetzen. Ausgespro­chen sinnvoll ist es, sehr sicher beherrschte Tonfolgen (wie z. B. Tonleitern) zu nutzen, um rhythmische Motive oder Abfolgen einzuüben. Entscheidend ist, dass das rhythmisch umzusetzende Tonmaterial sicher – am besten mühelos auswendig – abrufbar ist.

3. Rhythmussprache

Der entscheidende methodische Schritt ist aus meiner Sicht, dass AnfängerInnen immer zuerst mit einer Rhythmussprache im Unterricht lernen:

Rhythmussprache Kodály

Rhythmussprache Paris/Tonika-Do2

Eine Rhythmussprache erscheint auf den ersten Blick vielleicht als unnötiger Umweg und ist leider in Deutschland nicht so verbreitet und vereinheitlicht, dass wir immer kollegial darauf aufbauen könnten.

1 siehe Almuth Süberkrüb: Edwin Gordons „Musik Learning Theorie“ – eine Einführung, www.gordon-gesellschaft.de (Stand: 6.12.2018); Almuth Süberkrüb: „,Üben‘ in der musikalischen Lerntheorie von Edwin E. Gordon“, in: Ulrich Mahlert: Handbuch Üben, Wiesbaden 2007, S. 242 ff.
2 vgl. Martin Losert: „Tabelle Rhythmussprachen“, in: Ulrich Mahlert: Wege zum Musizieren, Mainz 2011, S. 178.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 1/2019.