Scholz, Gerhard

„Singen ist klasse“

Das Peter-Cornelius-Konservatorium der Stadt Mainz baut neue Leuchttürme des Kinderchorsingens in Mainzer Grundschulen

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 3/2020 , Seite 48

„Singen ist der Schlüssel zum Erlernen der Sprache.“ – „Singen schafft Gemeinsamkeit und ermöglicht Gruppenerfolge.“ – „Singen verändert das soziale Leben in der Grundschule.“ – Diese und viele andere Äußerungen bestimmen seit Jahren die Fachdiskussionen musikaffiner Pädagoginnen und Pädagogen. Gemeint sind damit überwiegend Angebote – über wenige Wochen als Projekt gefördert – mit öffentlichkeitswirksamem Abschluss, die nachhaltige Veränderungen bewirken sollen, deren Wert jedoch oft über die Nachhaltigkeit von Tischfeuerwerken nicht hinausgeht.
Wir am Peter-Cornelius-Konservatorium (PCK) in Mainz wollten, wollen und werden solche Angebote nicht wollen, schüren diese doch einen Bedarf, der hernach nicht gedeckt werden kann und frustrierte Kinder, Jugendliche und Lehrkräfte hinterlässt. Am Vorbild JEKISS aus Münster orientiert, haben wir eine Nachjustierung vorgenommen, die nicht auf Schülerinnen und Schülern als Multiplikatoren aufbaut, sondern die Grundschullehrkräfte mittelfristig zu einer flächendeckenden Versorgung befähigen wird – mit zunehmend wenig Musikschulhilfe. Einige Prämissen unseres langfristig angelegten und auf Nachhaltigkeit zielenden Grundschulprojekts sollen hier aufgezeigt werden.
Ausgehend von der Voraussetzung, dass in Grundschulen nur in Ausnahmefällen Fachunterricht Musik erteilt wird, dass durch Fortbildungen das Problem maximal symptomatisch behandelbar ist und dass nur eine jahrelange Praxisphase notwenige Kompetenzen ausbilden kann, bietet das PCK seit Sommer 2019 für interessierte Grundschulen sogenannte „Chorklassen“ an. In den beteiligten Schulen wird seitdem im Teamteaching von Musikschullehrkraft und Klassenleitung eine Schulstunde Musik als Chor im Klassenverband in allen Klassen des 2. Schuljahrs ge­halten. Im Sommer 2020 kommen die nächsten 2. Klassen hinzu und 2021 die letzten. Ab 2021 haben also alle 2. bis 4. Klassen diesen Unterricht.
Jeder, der über eine so lange Zeit Chorgesang praktiziert hat, hat die prägende Wirkung dieses gemeinsamen Tuns erlebt und weiß, dass diese Grunderfahrung nie verloren geht. Dies lässt sich in jedem Seniorenheim bestätigen, wenn zur Chorstunde gerufen wird und selbst demenziell veränderte Menschen fröhlich in den Gesang altbekannter Lieder mit einsteigen.
Das 250-Jahr-Jubiläum des Schott-Verlags in Mainz war für die verlagsnahe Strecker-Stiftung Anlass, gemeinsam mit dem Peter-Cornelius-Konservatorium der Stadt Mainz ein Konzept zu entwickeln, das mit 250000 Euro Startkapital bestückt eine dreijährige Phase des Kinderchorsingens in Grundschulen abdeckt. In Mainz und Wiesbaden wurde damit im August 2019 begonnen. In Mainz starteten zwölf Grundschulklassen aus vier Grundschulen. Diese Zahl wird sich bis 2021 mindestens verdreifachen. Wenn genügend Drittmittel organisiert werden können, ist eine Ausweitung auf weitere Grundschulen geplant.
Für die Zeit ab 2021 muss nun also viel Geld beschafft werden, damit das Konzept dauerhaft angeboten werden und eine neue Generation von singenden Grundschülerinnen und Grundschülern heranwachsen kann. Notwendig ist daher, die Mittel, die ab 2021 benötigt werden, schon jetzt in den Mittelpunkt allen Denkens der Organisatoren zu stellen. Die Strecker-Stiftung ruft beispielsweise zur Übernahme von Patenschaften für eine Klasse, einen Jahrgang oder eine Schule auf. Die Fördergesellschaft des PCK hat sich auf dauerhafte Übernahmen von Patenschaften (je nach Möglichkeit jahresweise) festgelegt. Die Umwidmung von Musikschullehrkräften in diesem Bereich ist durch eine Stiftung des PCK in Planung, die dann das ausfallende Unterrichtsentgelt übernimmt. Und auch die Übernahme einiger Anteile durch die Grundschulen und deren Fördervereine, vielleicht sogar durch die Eltern ist in der Diskussion. Alle haben sich dabei dem Ziel verschrieben, dass dieses Konzept in Mainz ohne zeitliche Begrenzung fortgeführt und ein jahrelang bedauerter Mangel in Grundschulen zumindest in Mainz behoben werden soll. Und wie wird „Singen ist klasse“ inhaltlich ausgestaltet?
1. Die beteiligten Lehrkräfte haben sich auf eine kleine gemeinsame Repertoireliste verständigt, die neben eigenen Schwerpunkten auch gemeinsame Aufritte aller Kinder möglich machen soll.
2. Die Klassenleitung soll im Verlauf der drei Jahre immer wieder kleine Aufgaben der „Klassenchorleitung“ übernehmen, verbunden mit der Hoffnung, dass nach drei Jahren die Musikschulbegleitung verringert werden kann, um auch weitere Grundschulen einbinden zu können.
3. Der einstimmige Gesang ist der Beginn allen Musizierens bei „Singen ist klasse“. Im weiteren methodisch-didaktischen Vorgehen sind Musikschulehrkräfte, wie auch sonst in Musikschulen, frei.
4. Ein Grundschulliederbuch wird jedem Schulkind geschenkt, um eine gemeinsame Grundlage zu haben und das Thema in die Elternhäuser zu tragen.
Dies alles zusammen nährt unsere Hoffnung, dass unsere Erfahrungen aus der Arbeit an einer Mainzer Brennpunktschule, die wir seit vielen Jahren von der 1. bis zur 4. Klasse komplett mit Musikunterricht versorgen, auch in die neuen Kooperationsschulen einfließen werden: keine Schulveranstaltung mehr ohne selbst produzierte Musik; Musik als selbstverständlicher Bestandteil des Schulalltags; Auftrittserfahrungen unter professionellen Bedingungen im großen Konzertsaal des Konservatoriums; vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Grundschul- und Musikschullehrkräften; eine signifikante Zunahme an Musikschulanmeldungen aus dem betreffenden Grundschulbezirk etc.
Wir werden die Veränderungen weiter beobachten und sind voller Zuversicht, dass in Mainz ein Thema angepackt und einer Lösung zugeführt wurde, das viel zu lange nur beklagt oder mit nahezu nutzlosen Kompromissen angegangen wurde – und in der gesamten Republik nach einer dauerhaften und praktikablen Lösung schreit.

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 3/2020.