Lehmann, Philip
Sinnvolle Reduktion
Wie erstelle ich eine vereinfachte Klavierbegleitung?
Wie kann man Klavierbegleitungen zu Werken aus dem Unterrichtsalltag so vereinfachen, dass sie auch von NebenfachpianistInnen zu bewältigen sind? Philip Lehmann zeigt, wie man gute Klaviersätze erstellen kann, die alle wichtigen Bestandteile enthalten, aber so einfach zu realisieren sind, dass die Aufmerksamkeit der Lehrkraft auf dem Unterrichtsgeschehen verbleiben kann.
Schon wieder höre ich meine Frau nebenan mit Nachdruck Passagen aus dem Accolay-Konzert üben. Gleich wird sie rüberkommen und sich aufregen, dass sie Max nicht einfach mal die korrespondierenden Stellen der Begleitung dazu spielen kann. So kennt Max nur das halbe Werk, nämlich seinen Violinpart, weil die Klavierbegleitung für eine Nebenfachpianistin zu schwer ist, um sie ins Unterrichtsgeschehen zu integrieren.
Seit vielen Jahren beobachte ich die Realität in der Musikschule: Wichtige Standardwerke der jeweiligen Instrumente werden zwar erarbeitet, aber oft nur der Solopart. Wenn es zur Aufführung kommen soll, wird im Kollegium herumgefragt, wer beim nächsten Schülerkonzert mal eben das Werk xyz begleiten könne. Und Max wundert sich dann in der letzten Probe vor der Aufführung, was auf einmal alles für Töne dazu kommen und wie anders das klingt. Bloß jetzt nicht durcheinanderbringen lassen! Die nette Klavierlehrerin, die ihn nächste Woche beim Schülerkonzert begleiten wird, passt sich bei den Übergängen an; kein Problem – Max spielt einfach wie sonst auch. Puh, ist das Klavier laut…
Erster Schritt: Digitalisierung
Im Folgenden zeige ich am Beispiel der 2. Romanze für Violine und Klavier op. 22 von Clara Schumann den Weg, wie man einen vereinfachten Klaviersatz erstellen kann. Diese Romanze ist für eine Bearbeitung anspruchsvoller als viele andere Werke, da die Komponistin Pianistin war und somit das Klavier entsprechend ernsthaft behandelt hat: nicht nur als reines Begleitinstrument, sondern zum Teil als gleichwertigen Duopartner.
Der erste Schritt ist die Digitalisierung des Originals, das ich in ein Notenscanprogramm importiere. Dafür nutze ich meist Noten von IMSLP.org.1 Das hat zwei Vorteile:
– Erstens kann ich mir sicher sein, kein Urheberrecht zu verletzen.
– Zweitens findet man häufig verschiedene Ausgaben, was vor allem bei Klavierauszügen von Orchesterbegleitungen sehr hilfreich ist, da man Editionen vergleichen kann. Außerdem findet man sehr häufig einen Scan des Manuskripts (dies ist auch hier der Fall).
Der Nachteil: Häufig ist die grafische Qualität schwach. Die Gegenüberstellung des Beginns der Schumann-Romanze auf IMSLP mit dem Ergebnis, das man beim ersten Versuch mit einem namhaften Scanprogramm bekommt, verdeutlicht den Aufwand der noch zu erledigenden Arbeit, bis das Ergebnis zufriedenstellend (und damit arrangierbar) ist:
Um aber bei der kleingedruckten Solostimme nicht die Nerven zu verlieren, scanne ich eine separate Violinstimme in Großdruck (auch von IMSLP.org aus derselben Edition) und füge sie später dem Klaviersatz hinzu. Irritierenderweise ist die Violinstimme in den Takten 59 bis 63 anders als in der Partitur. Ein Blick in das auf IMSLP einzusehende Manuskript bestätigt die Fassung der Partitur. Das Ergebnis nach dreieinhalb Stunden Import aller vier Partiturseiten und notwendiger Nachbearbeitung sieht so aus:
Ich warne eindringlich davor, irgendeine im Internet kursierende MIDI-Datei einfach zu importieren oder andere Shortcuts zu wählen. Wir wollen später mit diesen Noten arbeiten und wie bei einem Handwerker steht und fällt die Qualität der Arbeit mit dem vorhandenen Werkzeug. Deshalb mache ich mir die Mühe und importiere die Noten selbst, sorge dann für ein ansprechendes Layout und füge alle Bögen, Spielanweisungen und Dynamikangaben ein. Nur wenn ich dieses ehrliche und alles umfassende Gesamtgebilde vor mir habe, wird meine Vereinfachung stimmig und überzeugend sein. Ein schöner Nebeneffekt: Man kann aus dieser Version Play-along-MP3s in verschiedenen Tempi, mit oder ohne Klick für die SchülerInnen erstellen.
1 in diesem Fall: https://imslp.org/wiki/3_Romances%2C_Op.22_(Schumann%2C_Clara) (Stand: 20.12.2023).
Lesen Sie weiter in Ausgabe 1/2024.