Palm, Laura

Skype & Co.

Instrumentalunterricht per Video – ein Leitfaden für die Praxis

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 4/2013 , Seite 26

Was in den USA schon seit vielen Jah­ren Alltag an den Musikhochschulen und im Bereich des Instrumental­unterrichts ist, ist in Deutschland noch absolutes Neuland: der Musikunterricht per Videokonferenz. Doch wie kann das überhaupt funktionieren?

Zunächst war auch ich skeptisch, als mir der amerikanische Geiger Charles Parker vor einiger Zeit bei einem Besuch in Deutschland von einem Jungstudenten an seiner Hochschule in Philadelphia erzählte, der regelmäßig über das Internet Unterricht bei dem berühmten Cellisten Lynn Harrel nimmt, obwohl die beiden einige tausend Kilometer zwischen amerikanischer Ost- und Westküste trennen. Vorstellen konnten wir uns das nicht so richtig: Kann der Lehrer überhaupt alles gut genug sehen? Wie ist die Klangqualität? Ist ein konzentriertes Arbeiten am Computer möglich? Diese und viele andere Fragen gingen uns durch den Kopf und wir beschlossen, das Ganze einfach einmal auszuprobieren. Aus diesem Selbstversuch sind über zwei Jahre zahlreiche Unterrichtsstunden und eine Diplomarbeit entstanden – und die Erkenntnis, dass der Unterricht per Videokonferenz großes Potenzial hat. Im Folgenden möchte ich daher Anregungen und Hinweise geben, wie der Unterricht über das Internet stattfinden kann.

Technische ­Voraussetzungen

Grundvoraussetzung ist, dass sowohl die Lehrerin als auch der Schüler einen Computer mit Internetanschluss haben. Idealerweise handelt es sich dabei um einen mobilen Laptop, um die Ausrichtung der Kamera auf die Lehrkraft bzw. den Schüler oder die Schülerin flexibler zu gestalten. Eine Internetverbindung per Kabel ist in der Regel weniger störanfällig, sodass dies einer WLAN-Verbindung vorzuziehen ist. Ferner benötigen beide eine Webcam, ein Mikrofon und möglichst externe Lautsprecher, da die Klangqualität dadurch deutlich zu verbessern ist.
Ein Videokonferenzprogramm muss aus dem Internet heruntergeladen werden. Weit verbreitet ist das Programm Skype,1 doch auch andere Programme wie z. B. ooVoo2 stehen kostenlos zur Verfügung. Beide Programme sind sehr einfach zu bedienen, die Klangqualität scheint bei ooVoo etwas besser und zuverlässiger zu sein. Man erstellt ein Benutzerprofil und Schüler und Lehrerin fügen sich gegenseitig zu ihren Kontaktlisten hinzu. Kosten entstehen durch die Videotelefonate derzeit nicht. Diese Programme ermöglichen, eine Videokonferenz herzustellen, bei der sich beide Nutzer in (nahezu) Echtzeit sehen und hören können.

Räumliche ­Voraussetzungen

Der Unterricht kann an jedem beliebigen Ort mit Internetzugang durchgeführt werden. Eine Terminvereinbarung kann wie gewohnt stattfinden. Vorteil des Unterrichts von zuhause aus: Es geht keine Zeit verloren für An- und Abreise zum Unterrichtsort. Auspacken, Stim­men und Einspielen können vor Unterrichtsbeginn erledigt werden, sodass die Unterrichtszeit effektiv genutzt werden kann.
Schüler und Lehrerin sollten einen Raum finden, in dem sie ungestört arbeiten können. Mit der Familie oder Mitbewohnern können Absprachen getroffen werden, dass während der Unterrichtszeit keiner den Raum betritt. Wie in jedem Unterricht sollten Handy und möglichst auch das Telefon ausgeschaltet sein. Die Erfahrung hat gezeigt, dass ein Spiegel im Unterrichtsraum hilfreich ist, da der Schüler auch selbst Bewegungsabläufe kontrollieren muss und die Lehrkraft durch die räumliche Trennung keine Bewegungen führen kann.

Zielgruppe und Materialien

Prinzipiell kann jeder per Videokonferenz lernen. Dennoch ist diese Unterrichtsform für sehr junge SchülerInnen und AnfängerInnen, gerade im Bereich der Streichinstrumente, nicht zu empfehlen, da sie durch die räum­liche Trennung nicht genug Führung und Hilfe beim Erlernen von Bewegungsmustern bekommen können. Vorteilhaft kann ein Videokonferenz-Unterricht für (erwachsene) SchülerInnen mit einem sehr vollen Terminkalender sein, ebenso für Lehrkräfte, die aufgrund von Konzertverpflichtungen viel verreisen. Außerdem kann per Videokonferenz auch Unterricht bei LehrerInnen genommen werden, die weit weg oder gar in einem anderen Land wohnen und unterrichten. Zusätzlich ist es denkbar, dass man als passiver Teilnehmer zu einem solchen Unterricht dazugeschaltet wird, denn die Programme erlauben Videokonferenzen mit mehreren Teilnehmenden. So könnte man beispielsweise an Meisterkursen in anderen Städten und Ländern teilnehmen, ohne lange Anreisen in Kauf zu nehmen.
Neben dem üblichen Unterrichtsmaterial wie Instrument, Noten etc. ist ein Metronom wichtig, da die Lehrkraft durch die minimale zeitliche Verzögerung nur schwer Metrum oder Takt vorgeben kann. Falls das Zusammenspiel trainiert werden soll, ist die Anschaffung von Play-along-Literatur ratsam. Ebenfalls wichtig ist für AnfängerInnen ein Stimmgerät, da die Lehrerin zwar Anweisungen geben kann, das Stimmen aber doch vom Schüler übernommen werden muss.

Die erste ­Unterrichtsstunde

Vor der ersten Unterrichtsstunde sollte man sich vertraut machen mit dem Computerprogramm. Ein Test mit einem Familienmitglied oder Bekannten, ob man gut zu sehen und zu hören ist, ist dringend ratsam. Vor jeder Unterrichtseinheit sollte man einige Minuten vorher die Internetverbindung sowie Stromzufuhr zum Laptop etc. überprüfen, das Programm starten und alle anderen nicht benötigten Programme auf dem Computer schließen. Die Telefonnummern des jeweils anderen sollten Lehrerin und Schüler griffbereit haben, damit bei Verbindungsschwierigkeiten Kontakt aufgenommen werden kann.
In der ersten Stunde sollte man sich Zeit nehmen, um eine gute Positionierung zu erarbeiten, sodass die Lehrerin komplette Bewegungsabläufe sehen kann. Da die Lehrkraft nicht um den Schüler oder die Schülerin herumlaufen kann, ist es unter Umständen auch nötig, mehrmals in der Stunde die Kameraperspektive zu wechseln, anzupassen oder näher an die Kamera heranzugehen, um Details sichtbar zu machen. Dies ist jedoch durch Ansage der Lehrerin oder auch des Schülers, während die Lehrerin Techniken demonst­riert, ohne größere Schwierigkeiten zu bewältigen und mit etwas Erfahrung nach einiger Zeit kaum mehr ein Problem.
Da man beim Musizieren oft eine hohe Lautstärke erreicht und die Augen auf die Noten gerichtet hat, kann es passieren, dass die Lehrerin den Schüler unterbrechen will und der Schüler dies nicht mitbekommt. Hilfreich ist deshalb, ein visuelles Zeichen zu vereinbaren, welches der Schüler auch aus dem Augenwinkel heraus wahrnehmen kann. Es hat sich bewährt, dass z. B. im Streicherunterricht die Lehrerin mit ihrem Bogen winkt. Diese Bewegung ist auch seitlich wahrzunehmen, während man in die Noten schaut. Auch kann der Schüler sich angewöhnen, in regelmäßigen Abständen zum Bildschirm zu schauen. Das eben Gesagte bedeutet auch, dass gerade für das Spiel ohne Noten, für mentales Üben oder Auswendigspielen, ein Unterricht per Video besonders geeignet sein kann.

Eine gewöhnliche Unterrichtsstunde?!

Nun kann der Unterricht (fast) wie gewohnt ablaufen. Sicherlich ist die Klangqualität in einer Videokonferenz deutlich gemindert und bildet damit auch das größte Manko dieser Unterrichtsform. So kann beispielsweise ein Geigenklang sehr leicht einen blechernen Beiklang erhalten. Mit guter technischer Ausstattung lässt sich der Klang optimieren und je besser der Klang, desto realistischer die Einschätzung der Lehrerin. Dennoch muss festgehalten werden, dass eine schlechte Klangqualität zwar vor allem für die Lehrkraft unangenehm ist, aber für einen effektiven und ergebnisreichen Unterricht nicht unbedingt ein großes Hindernis darstellt.
Um den Fernunterricht zu optimieren, macht es deshalb Sinn, mit einer guten Videokamera oder zumindest einem hochwertigen Audiorekorder regelmäßig zusätzlich zum Unterricht ein Video bzw. eine Tonaufnahme des erarbeiteten Repertoires zu erstellen, um der Lehrerin einen realistischeren Eindruck vom tatsächlichen Klang zu vermitteln. Diese Aufnahme soll keine fehlerfreie Konzertaufnahme darstellen, sondern einfach den Stand zu einem bestimmten Zeitpunkt.
Da die Lehrerin nicht einfach zum Notenständer laufen und in die Noten des Schülers schauen kann, ist es für die Absprache von Fingersätzen und Ähnlichem hilfreich, wenn beide das gleiche Notenmaterial vorliegen haben, also die gleiche Ausgabe benutzt wird. Zur Veranschaulichung und Übermittlung können die mit den Einzeichnungen der Lehrkraft versehenen Seiten eingescannt und per E-mail gesendet oder bei Anbietern wie zum Beispiel Dropbox3 in Ordnern hinterlegt werden, auf die Schüler und Lehrerin Zugriff haben. Dieses Vorgehen ist nur dann legal, wenn beide Beteiligten die Originalausgaben der Noten vorliegen haben. Die Scans der Noten dienen nur der Informationsübertragung und dürfen nicht an Dritte weitergereicht werden, weder als Ausdruck noch als Datei.

Kaum Unterschiede zum üblichen Unterricht

Inhaltlich muss sich der Unterricht per Videokonferenz nur wenig unterscheiden vom üblichen Instrumentalunterricht: Nahezu alle wichtigen Lernbereiche können mit etwas Kreativität abgedeckt werden. Kompositionsaufgaben können per E-mail gesendet, Werke gemeinsam erörtert werden. Ebenso kann Musikgeschichte durch die Lehrkraft vermittelt werden oder sie kann dem Schüler Rechercheaufgaben erteilen bzw. Literaturhinweise geben. Gehörbildung und Musiktheorie können entweder im Unterricht selbst stattfinden oder durch geeignete Computerprogramme oder Bücher im Selbststudium geübt werden. Spieltechnik – mit leichten Einschränkungen durch die räumliche Trennung – und Interpretation – möglicherweise etwas limitiert durch die schlechtere Klangqualität – werden im Prinzip so wie in jedem anderen Instrumentalunterricht behandelt.

Inhaltlich muss sich der Unterricht per Videokonferenz nur wenig unterscheiden vom üblichen Instrumentalunterricht: Nahezu alle wichtigen Lernbereiche können mit etwas Kreativität abgedeckt werden.

Auch der Bereich der Körperschulung kann durch das Demonstrieren von Entspannungs- oder Dehnübungen abgedeckt werden. Improvisationsaufgaben und Blattspiel können durch das Zusenden von Noten erreicht werden und auch das Auswendigspiel ist durch den Fernunterricht nicht eingeschränkt – im Gegenteil: Hier bestehen durch die Konzent­ration auf die Kamera besonders gute Möglichkeiten der Beurteilung.
Neben der Minderung der Klangqualität gibt es die größte Beschränkung im Bereich des Zusammenspiels. Durch die minimale zeit­liche Verschiebung, auch wenn es sich um Bruchteile von Sekunden handelt, ist ein Zusammenspiel von Schüler und Lehrerin nicht möglich. Um dem Schüler dennoch die Möglichkeit des gemeinsamen Musizierens zu bieten, können kommerzielle oder selbst erstellte Play-along-CDs genutzt und Kammermusikgruppen gebildet werden. Auch der Kontakt zu einem Korrepetitor sollte in Betracht gezogen werden.4
Interessant ist auch das Modell, welches der amerikanische Geiger Pinchas Zukerman anwendet. Zwar unterrichtet er von seinen Konzertreisen aus per Videokonferenz, doch seine langjährige Assistentin ist immer mit dem Schüler in einem Raum und kann helfen, die Anweisungen des Lehrers in physische Bewegungen umzusetzen.5 Dies ist natürlich für den Alltag von InstrumentalpädagogInnen so nicht übertragbar, man könnte jedoch beispielsweise eine fortgeschrittene Schülerin einsetzen, um im Anfängerunterricht zu assistieren.

Und die Bezahlung?

Findet der Unterricht im selben Land statt, ist eine Bezahlung per Überweisung unproblematisch. Überweisungen ins Ausland sind in der Regel teuer, können jedoch durch Anbieter wie z. B. Paypal6 abgewickelt werden, die über Kreditkarte oder Bankeinzug funktionieren und deutlich geringere Bearbeitungsgebühren verlangen.
Natürlich ist der herkömmliche Instrumentalunterricht, bei dem Lehrerin und Schüler in einem Raum sind, nach wie vor die ideale Form des Unterrichts. Es gibt jedoch durchaus Situationen und Schülergruppen, wo die Anwendung einer Videokonferenz sinnvoll ist und den regulären Unterricht bereichern oder auch (zeitweise) ersetzen kann. Für Inst­rumentalpädagogInnen ergibt sich ein weiteres Betätigungsfeld, welches bei Weiterentwicklung der Technik in der Zukunft an Bedeutung zunehmen wird.

1 www.skype.de
2 www.oovoo.com
3 www.dropbox.com
4 Anselm Ernst: Lehren und Lernen im Instrumental­unterricht. Ein pädagogisches Handbuch für die Praxis, Mainz 1999, S. 44-67.
5 Emily Cary: „Meanwhile, it’s violins on video (violinist Pinchas Zuckerman uses videoconferencing technique to instruct his Manhattan School of Music students ­while he is on world tour)“, eingestellt am 21.11.1994, http://www.highbeam.com/doc/1G1-15875008.html (Stand: 25.04.2013).
6 www.paypal.de

Literatur
– Deverich, Robin Kay: „Distance Learning Strategies for Strings“, http://www.violinonline.com/images/distance/Distance_Learning_Strategies_for_Strings.pdf (Stand: 25.04.2013).
– Pniewski, Tom: „Music Lessons in Cyberspace: The Manhattan School of Music’s Innovative Program“, in: World and I, Volume: 13, Issue: 5, 1998, S. 92 ff.

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 4/2013.

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