MUGI-Redaktion: Jeruscha Strelow (Redakteurin), Beatrix Borchard (Herausgeberin), Silke Wenzel (Herausgeberin), Nina Noeske (Herausgeberin), Martina Bick (Redakteurin), Noemi Deitz (Redakteurin) / © Simon Kannenberg

Grundmann, Ute

So viele ungehörte Noten

Das Projekt MUGI – Musikvermittlung und Genderforschung im Internet – erhält finanzielle Unterstützung für den Ausbau seiner Forschungstätigkeit

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 3/2025 , Seite 51

Klischees sind hartnäckig, etwa dass „Klassik“ männlich sei und Frauen das gar nicht könnten. Zu zeigen, dass sie es sehr wohl können, und Frauen in der Musik sicht- und, wenn möglich, auch hörbar zu machen, ist die Hauptaufgabe von MUGI. Entschlüsselt bedeutet das Kürzel „Musik(vermittlung) und Gender(forschung) im Internet“, Titel für eine frei zugängliche Forschungs- und Publika­tionsplattform, deren drei Herausgeberinnen in Hamburg und Weimar tätig sind. Ihre Arbeit bekommt jetzt kräftige Unterstützung, nämlich eine Förderung durch die Mariann Steegmann Foundation über zehn Jahre in Höhe von insgesamt 600000 Euro.
Wälzen Lexika nur noch forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, wenn sie nach nicht mehr bekannten Komponistinnen, aber auch Cellistinnen und Geigerinnen suchen? „Es gibt sehr, sehr viel mehr, als man gedacht hatte“, stellt Silke Wenzel fest, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. „Das ist wie ein Schneeballsystem, man findet eine Person und entdeckt ein ganzes Netzwerk, dem man dann nachgeht.“ Und auf der Plattform MUGI soll jetzt zum Online-Lexikon mit mehr als 600 Biografien ein Sachteil entstehen, der fundiert Musikerinnen und Werk beschreibt und einordnet. „Da ist jeder Satz wissenschaftlich überprüft“, betont Beatrix Borchard, Professorin in Hamburg, Initiatorin und Gründerin des 2000 begonnenen, 2004 veröffentlichten Projekts, das sich „geändert hat, jetzt anders ist, als anfangs gedacht“. Zum einen wurde aus Frauen- dann Genderforschung, mit dieser Blickerweiterung rückten auch Männer in der Musik in den Fokus. Zum anderen ist da das Internet, das eine lebendige, „andere Art der Musikgeschichtsschreibung“ ermöglicht, so Borchard. Jede Frau in der Musik sei „immer die erste, eine Ausnahme – und da wollen wir Normalität schaffen“.
Frühere Forschung und Erkenntnisse seien „teils nicht mehr zugänglich“, erläutert Nina Noeske, Professorin an der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar, weil sie auf 20 Jahre alter Technik gespeichert sei; sie müsse nachhaltig wiedergewonnen werden. Dieser Sachteil, der geschlechtsspezifische Themen behandeln wird, sei „eine Herzensangelegenheit“; außerdem will man internationaler werden, künftig auch französischsprachige Artikel aufnehmen, deutsch- und englischsprachige Texte übersetzen. Das ganze Thema stoße bei ihren Studierenden auf großes Interesse, auf Instagram und Facebook folge eine riesige Fangemeinde. Themen und Ansatzpunkte sieht sie viele, etwa „wie im 19. Jahrhundert ein weiblicher Künstlertyp entsteht“. Virtuosität dagegen sei „total männlich besetzt“, Frauen, die komponierten, seien meist Pionierinnen gewesen. Dank des Internets sei diese Musikgeschichte nun fortschreibbar, „das ist genau, was wir wollen“. Beatrix Borchard nennt ihr methodisches Konzept, auf dem das Projekt MUGI basiert, das des „Lückenschreibens“.
„Wir wollen keine Fußnoten, sondern ganze Dokumente veröffentlichen“, ergänzt Silke Wenzel, die sich „saubere Notenausgaben, wie man sie von Komponisten gewohnt ist“, ebenso wünscht wie mehr Bereitschaft, Werke von Komponistinnen in den Konzertsaal zu bringen. Im Lexikonteil von MUGI würde sie gerne mehr Verbindungslinien schaffen; bei der Suche für den Forschungsteil will man sich auch auf KI stützen, so ist es geplant. Solche Fortschrittsgedanken sind ihr wichtig, aber die Ersterforschung fasziniert sie besonders: „Wen gab es, wie waren sie in ihrem Umfeld aktiv, welche beruflichen Ideale und Ziele hatten sie?“ Fündig werde man nicht nur in Archivgut und Rezensionen, auch eine Sammlung von Autogrammkarten kann Anstöße liefern oder auch eine Kiste voller Noten, die auf dem Dachboden gefunden wird. Die Geschichte dazu schreiben aber nicht die Finder, „ein Familienroman ist nicht die Aufgabe von MUGI“, betont Beatrix Borchard, sondern wissenschaftlich gesicherte Informationen. Sie würde auch gerne die Volksmusikforschung, die es in ost- und südeuropäischen Ländern gibt, mit ­MUGI vernetzen, damit sie auch bei uns bekannt wird.
Die Genderforschung in der Musik bleibt aber ein weites Feld: „Es gibt sehr viele Namen, die kein Mensch kennt; ellenlange Werkverzeichnisse, von denen noch nie ein Ton gehört wurde“, so Borchard. Einen Grund dafür beschreibt sie so: „Frauen verschwinden mit der Ehe aus der Öffentlichkeit, arbeiten aber weiter.“ Sei es in Salons, sei es im Musikunterricht, das aber „kommt nicht in die Zeitung“. Ein weiterer Grund gilt vielleicht bis heute: „Man hört anders zu, wenn eine Frau komponiert hat.“
Hochgestecktes Endziel für MUGI: Frauen in der Musikgeschichte als Geschichte kulturellen Handelns fest zu verankern.

https://mugi.hfmt-hamburg.de

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 3/2025.

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