Holliger, Heinz

Soli für Violine

aus: Concerto für Orchester

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2009
erschienen in: üben & musizieren 1/2010 , Seite 62

Heinz Holliger, der 2009 seinen 70. Geburtstag feierte, zählt zu den vielseitigsten und profiliertesten Musikern unserer Zeit. Er war in seinen jüngeren Jahren der führende Oboist, der nicht nur ein weit gespanntes Repertoire vom Barock bis zur Gegenwart beherrschte und die Spielweisen des Instruments beträchtlich erweiterte, sondern auch Komponisten anregte, ja geradezu mit seinem Spiel verführte, Werke für die Oboe zu schreiben. Als hoch geschätzter Gastdirigent erschloss er sich ein Repertoire, das von der zeitgenössischen Musik aus die Musikgeschichte mit unverkennbaren Vorlieben für die musikalische Romantik etwa eines Robert Schumann durchmisst.
Als Komponist, der vor allem Sándor Veress und Pierre Boulez zu seinen Lehrern zählt, versöhnt seine Musik den herausfordernden, utopisch anmutenden Avantgardismus gewissermaßen mit der unhintergehbaren Wirklichkeit des Musikmachens und seinen Bedingungen. Mehr noch scheint Holliger in seinen jüngsten Werken sein Komponieren unmittelbar mit bestimmten Musikern zu verknüpfen. Zu diesen Werken zählen die hier in hervorragendem Druck veröffentlichten Soli für Violine (im Inhaltsverzeichnis fehlt die Auflistung des letzten Stücks).
Es handelt sich bei diesen sieben Stücken für Violine solo – das dritte Stück kann wahlweise auch von einer Zarb-Trommel begleitet werden – um Teile aus seiner 2000/01 zum 20. Geburtstag des Chamber Orchestra of Europe angefertigten Orchesterkomposition “COncErto” (so die Holliger’sche Schreibweise), die auch separat aufgeführt werden können. (Aus dieser Komposition sind auch andere Stücke in Besetzungen wie etwa zwei Pauken oder Posaune solo oder vier Celli aufführbar.) Holliger widmete sie nicht nur Musikern des Orchesters, sondern gestaltete sie auch als gleichsam imaginäre Geschichten, die er assoziativ aus den Namen der Widmungsträger ableitet.
Das erste Stück “Das Märchen vom weißen Stein” ist für Marieke Blankestijn geschrieben, für Stefano Mollo komponierte er “Mollo la Molla” oder für Lucy Gould “Goldthread”. Und so genau Holliger seine Musik ausnotiert und bezeichnet, so wenig notiert er bei einigen Stücken Tempoangaben, wohl weil sich die Tempogestaltung mit dem möglichst spontanen Spielen geradezu selbstverständlich einzustellen hat. Eine der häufigsten Spielanweisungen im ersten Stück lautet denn auch parlando.
Die Stücke bieten mehr als nur ein Kompendium moderner Spieltechniken. Anders als etwa in seinem fulminanten Virtuosenstück “Trema” (1981/83) für Violine solo verliert Holliger nicht ganz die vertrauten musikalischen Ausdruckscharaktere aus dem Sinn – und das dürfte diesen Stücken den Eingang ins Repertoire der Geiger erleichtern, der ihnen zu wünschen ist.
Giselher Schubert