Aydintan, Marcus / Laura Krämer / Tanja Spatz (Hg.)

Solmisation – Improvisation – Generalbass

Historische Lehrmethoden für das heutige Musiklernen

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Olms, Hildesheim 2021
erschienen in: üben & musizieren 2/2022 , Seite 58

Dass Musikunterricht heute oftmals entfremdet von der den erklingenden Tönen zugrundeliegenden Musiktheorie ist, dürfte den meisten Musiklehrenden bewusst sein. Und nicht allen mag es gelingen, ihre SchülerInnen motivatorisch auch nur zur Vermittlung des simpelsten Basiswissens bei der Stange zu halten.
Um „Brücken zu schlagen, Fortbildungsangebote zu schaffen und Austausch zu ermöglichen“, gründete sich an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover 2015 das Netzwerk „Musiktheorie verbindet“, welches nunmehr auf seinen Tagungen, bei Workshops, aber auch in Forschung und Lehre Fragen nachgeht wie der hier thematisierten: Inwiefern sind historische musikalische Lerntechniken oder Praktiken wie Solmisation, Generalbass und Improvisation möglicherweise auch heute noch von Wert?
In diesem Band sind 13 Beiträge versammelt, die sich mit diesen Fragestellungen beschäftigen. Dabei schreitet das Buch quasi chronologisch fort von der ersten Musikausbildung für Kinder in Schulen und Musikschulen über die älteren Lernenden bis hin zur Hochschulausbildung und den dort sich bietenden Einsatzmöglichkeiten historischer (Lehr-) Praktiken.
Das beginnt mit einem Beitrag zum Thema „Der Elfenbeinturm im Klassenzimmer – und wie man ihn verpflanzt“, in dem Vorschläge erarbeitet werden, wie die Lücke zwischen der Kunst, der Musikszene – welche die Autorin durchaus einleuchtend als Elfenbeinturm kategorisiert – und der Lebenswelt von (Musik-) SchülerInnen überbrückt werden könnte. Ein anderer Beitrag befasst sich mit den Möglichkeiten historischer Vokal­improvisation in der Schule, ein weiterer mit der Anwendung sowie den Vor- und Nachteilen der Hexachord-Solmisation und Vokalimprovisation. Improvisation in der Manier eines Diego Ortiz im 16. Jahrhundert auf ein Passamezzo-antico-Modell bietet Anregung für Gesangsübungen mit kreativen jungen SängerInnen, und ein weiterer Artikel thematisiert die pädagogischen Potenziale der Generalbasspraxis, die bislang fast ausschließlich auf Hochschulebene vermittelt wird, doch sicherlich auch im (musik-) schulischen Bereich sinnvoll eingesetzt werden könnte.
Auch eine Bestandsaufnahme zum Unterrichtsmodell der Gesangsklassen bietet das Buch; und eine fast 40-seitige „Praxisrelevante Bibliographie zur Musiklehre“ von Artikeln aus der Zeitschrift üben & musizieren 1989-2020 sowie einigen anderen Publikationen mag LeserInnen, die sich für diese Thematik interessieren, reiche Anregung verschaffen.
Kurz: Für wen das Buch nicht forschungsrelevant ist, der wird vielleicht nur von ein oder zwei Aufsätzen profitieren. Aber wenn diese das eigene Unterrichten nachhaltig in Richtung auf integ­rativere Theorievermittlung zu beeinflussen vermögen – warum nicht?
Andrea Braun