Graupner, Christoph

Sonata

für Violine (oder Flöte) und Basso continuo g-Moll GWV 711

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2015
erschienen in: üben & musizieren 2/2016 , Seite 56

Christoph Graupner ist zwei Jahre älter als Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel, überlebte aber beide, wenn auch Händel nur um ein Jahr. Er war Alumnus an der Leipziger Thomasschule, reüssierte 1707 an der Hamburger Oper am Gänsemarkt als Cembalist, gerade als Händel nach Italien aufbrach, und wurde 1709 Vizekapellmeister in Darmstadt, von wo er sein ganzes Leben lang nicht mehr wegkam, obwohl er 1723 für die Stelle als Thomaskantor nach der Absage Telemanns gewählt wurde, sie aber nicht annehmen konnte, da der Darmstädter Landgraf seine Entlassung verweigerte. Bach erhielt sie als „dritte Wahl“.
Darmstadt war gegenüber Bachs Leipzig, Telemanns Hamburg und schon gar gegenüber Händels London „Provinz“. Doch oft ermöglicht eine Lage abseits der großen Zentren eine eigenständige Entwicklung. Graupner komponierte in größter Fruchtbarkeit bis 1719 Opern, dann Kantaten, Orchester-, Kammer- und Cembalowerke. Er war für sein Cembalospiel berühmt. Die „Sonata por Cembalo o Violino o Flauto“, wie sie im Autograf genannt wird, ist insoweit erstaunlich, dass der Cembalopart ausgeschrieben ist und der musikalische Satz eher an eine frühe Violinsonate der Klassik erinnert als an eine Basso-continuo-Komposition. Insoweit entspricht der Titel dieser Neuausgabe nicht so ganz Graupners musikalischem Satz.
Doch gerade weil es sich hier um eine Musik handelt, die nicht in die Stilschablonen von Barock und Klassik passt, ist es umso wertvoller, sich mit dieser So­nate zu beschäftigen. Technisch betrachtet ist sie für beide SpielerInnen einfach. Der Violinpart begnügt sich fast durchgehend mit der ersten Lage; ein Wechsel in die zweite oder dritte ist manchmal sinnvoll. Der Pianist spielt zumeist nur zweistimmig. Selbstverständlich kann man, und dann wird es virtuos, diese Noten zum Anlass für reiche Verzierungen nehmen, wie das damals üblich war. So gespielt ist diese Sonate lohnend für Spezialisten der Barockvioline.
Doch auch für den Violinunterricht und für das Schülerkonzert ist diese Sonate bestens geeignet, da sie musikalisch viel bietet. Graupner war ein Meister des empfindsamen Stils, wählte Klänge und Melodien, die feine Abschattierungen auszeichnet. Dies gilt sowohl für die Violine als auch für das Cembalo, das häufig, wie bei frühen Violin­sonaten üblich, den führenden Part übernimmt. Darüber hinaus ist diese Sonate eine hervor­ragende Einführung in das Duo-Musizieren. Zwischen Cembalo und Violine spielen sich Dialoge ab, Gegenüberstellungen (etwa im zweiten Largo die orchestralen Akkorde im Cembalo, denen eine rezitativartige Melodie in der Violine gegenübergestellt ist) und gemeinsames, polyfon geführtes Musizieren.
Die von Wolfgang Birtel vorbildlich betreute Edition macht die wenigen sinnvollen Abweichungen vom Autograf im Notentext kenntlich. Übersichtlichkeit und Lesbarkeit sind hervorragend. Eine wichtige Repertoire-Bereicherung!
Franzpeter Messmer