Senfter, Johanna

Sonate

für Violine und Klavier A-Dur op. 26, hg. von Wolfgang Birtel

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2008
erschienen in: üben & musizieren 1/2009 , Seite 62

Komponistinnen hatten es in vielerlei Hinsicht noch schwerer als ihre Kolleginnen von der schreibenden oder malenden Zunft. Noch länger, bis weit hinein in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts, sprach „Mann“ Frauen schlichtweg die Fähigkeit zu kreativer Tätigkeit in diesem Bereich ab. „Frauen können nicht komponieren!“: Ich erinnere mich, das vor noch gar nicht langer Zeit so lapidar aus dem Munde eines führenden Literaturkritikers im deutschen Fernsehen vernommen zu haben.
Nun denn, die Zeiten ändern sich. Heute gehören Komponistinnen wie Sofia Gubaidulina oder Adriana Hölszky zu den anerkannten Stars der Szene, und Frauen sind erfolgreich dabei, sich sogar im letzten Refu­gium männlicher Exklusivität, im dirigentischen Fach, zu etablieren.
Von so viel Anerkennung konnte die Oppenheimerin Johanna Senfter (1879-1961) zu ihrer Zeit nur träumen. Heute ist sie fast vergessen, dabei hinterließ sie ein umfangreiches Werk, schrieb 134 Musikstücke, darunter neun Sinfonien, zahlreiche Orchesterwerke, Solokonzerte, Kammermusik, Orgelwerke, Chöre und Lieder. Ihre Ausbildung erhielt sie am Hochschen Konservatorium in Frankfurt und studierte später bei Max Reger in Leipzig.
Selbst Geigerin komponierte sie eine beträchtliche Anzahl von Werken für ihr eigenes Instrument. Nach etlichen anderen Opera ist bei Schott jetzt auch die Sonate für Violine und Klavier A-Dur op. 26 erschienen. Das groß angelegte, viersätzige Werk dürfte zwischen 1914 und 1918 entstanden sein und wirkt in Duktus und Klangsprache wie eine Hommage an ihre beiden Vorbilder Johannes Brahms und Max Reger.
Beim 3/4-Hauptthema des ersten Satzes – einer Sonatenhauptsatzform nahezu sinfonischen Ausmaßes – scheint der Anfang von Brahms’ A-Dur-Sonate Pate gestanden zu haben, an den auch sonst hier manches erinnert, etwa ausgeterzte Melodieführungen oder hemiolische Strukturen im Klavier. Ganz „regerisch“ sind wiederum die Art der Modulation, die vielen chromatischen Durchgänge und allgemein die Massivität des Klaviersatzes. Diesem Satz ist bei aller schwelgerischen Schönheit ein gelegentlicher Hang zur Redseligkeit nicht abzusprechen.
Bedeutungsschwer-innig beginnt der ausgedehnte langsame Satz in D-Dur, mehrere sich in breiter Entwicklung auftürmende Kulminationen zeugen von der Affinität Johanna Senfters zu Übervater Reger. Höchst originell dann der dritte Satz, eine anstelle eines Scherzos platzierte Gavotte, die einen subtilen Sinn für skurrilen Humor offenbart. Heiter und beschwingt knüpft das Finalrondo an die gelöste Grundstimmung des Einleitungssatzes an. Alles in allem stellt diese Sonate sicher eine willkommene Bereicherung der Duo-Literatur dar.
Untadelig in jeder Hinsicht ist die Notenausgabe: professionell und praxisorientiert die geigerische Einrichtung der Violinstimme durch Friedemann Eichhorn, sorgfältig der Revisionsbericht von Wolfgang Birtel.
Herwig Zack