Mayer, Emilie

Sonate D-Dur

für Violine und Klavier, hg. von Miriam Terragni und Catherine Sarasin

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Furore, Kassel 2022
erschienen in: üben & musizieren 3/2023 , Seite 63

Kennen Sie Emilie Mayer? Nein? Dann dürfte es Ihnen so gehen wie vielen. Dabei handelt es sich bei Emilie Mayer um eine zu ihren Lebzeiten respektierte, ja hochgeschätzte Komponistin, deren Werke die Anerkennung berühmter Kollegen, etwa des Geigers Joseph Joachim oder des bekannten Balladenkomponisten Carl Loewe, fanden.
Emilie Mayer war in jeder Hinsicht eine außergewöhnliche Erscheinung, eine Frau, die als unverheiratete „Vollzeitkomponistin“ so gar nicht den Gepflogenheiten und dem Rollenbild des 19. Jahrhunderts entsprach. Geboren wurde sie 1812 in Mecklenburg als viertes Kind des lokalen Ratsapothekers und seiner Frau. Früh zeigte sich ihr außergewöhnliches musikalisches Talent, sie erhielt Klavier- und Kompositionsunterricht bei Carl Heinrich Driver, dem Organisten in ihrer Heimatstadt Friedland.
Von 1841 bis 1847 studierte sie in Stettin Komposition bei Carl Löwe, der ihr nach der Aufnahmeprüfung gesagt haben soll: „Sie wissen eigentlich nichts und doch alles!“ In Berlin bildete sie sich u. a. bei Adolf Bernhard Marx weiter. Konzertreisen führten sie nach Wien, Hamburg und Halle. Als Komponistin war sie ungemein produktiv. Sie komponierte nicht weniger als acht Sinfonien, 15 Konzertouvertüren, zwölf Streichquartette, viele Violin-, Cello- und Klaviersonaten, ein Singspiel, Lieder, vierstimmige Chöre – manches scheint leider verschollen.
Zu ihren Lebzeiten wurden ihre Werke in Berlin, Brüssel, Lyon, Budapest, Leipzig und München gespielt, teilweise im gleichen Konzert neben Kompositionen von Wagner oder Berlioz. In ihrem Haus in Berlin gingen bedeutende Persönlichkeiten des öffentlichen und kulturellen Lebens und der Aristokratie ein und aus.
Emilie Mayer starb 1883 an einer Lungenentzündung und sie und ihr Werk gerieten zunehmend in Vergessenheit. Erst ab Mitte der 1980er Jahre begann ihre Wiederentdeckung und die ihrer Kompositionen.
Im Furore-Verlag ist jetzt die Violinsonate in D-Dur erschienen. Es handelt sich um ein ausgedehntes, viersätziges Werk in der Tradition der von Beethoven geprägten klassischen Sonate. Die Tonsprache erscheint frühromantisch, verwandt etwa zu Weber, Marschner, Hummel, Löwe, manches gemahnt ein wenig an frühen Mendelssohn.
Hier ist zweifellos eine Meisterin am Werk, die ihr Metier beherrscht. Die Melodik ist eingängig, das Ganze hat Leichtigkeit, Eleganz und Charme, erscheint gelegentlich allerdings auch ­einen Hauch konventionell-floskelhaft. Stilistisch eine Avantgardistin ihrer Zeit war Emilie Mayer wohl nicht. Eine Beschäftigung mit der Sonate lohnt sich aber allemal und aufgeführt zu werden verdient sie sicherlich auch. Und dieser bewunderungswürdigen Frau und ihrem Œuvre endlich den gebührenden Rang und die verdiente Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, sollte eine Selbstverständlichkeit sein.
Herwig Zack