Strauss, Richard
Sonate Es-Dur
für Violine und Klavier op. 18, nach dem Text der Kritischen Ausgabe
Nahezu alle Kammermusikwerke von Richard Strauss entstammen der frühen Schaffensepoche des Meisters. Unter ihnen ist die Violinsonate op. 18 wohl die reifste, in vielerlei Hinsicht fortgeschrittenste Komposition. Strauss schrieb sie 1887, im Alter von 23 Jahren. In dem Werk deutet sich an, dass ihm kammermusikalische Formate sehr bald zu eng sein werden, dass seine Fantasie nach größeren Dimensionen strebt, nach freieren Formen verlangt. Bald wird die sinfonische Dichtung seine bevorzugte Gattung werden, in der er seine Kreativität voller zu entfalten vermag. Nicht vollständig genug, es fehlt die menschliche Stimme, es fehlt die szenische Ausgestaltung. Folgerichtig wendet er sich zunehmend der Oper zu. Bevorzugte Form intimerer, lyrischer Inspiration sind für ihn Kunstlieder, von denen er eine große Anzahl komponiert.
Während sich Strauss in der Cellosonate op. 6 (1883) noch stark an das verehrte Vorbild Brahms anlehnt, lässt er den Meister in der Violinsonate stilistisch endgültig hinter sich, bricht aus Brahms’ selbstverordneten Grenzen, aus dem formalen und harmonischen Rahmen aus.
Die harmonische Struktur ist jetzt eindeutig „neudeutsch“, wagnerianisch, auch schon unverkennbar „straussisch“ geprägt, der Klaviersatz orientiert sich hörbar an Liszt, dramatisch-leidenschaftliche Gestik, gesungene Sinnlichkeit und quasi orchestrale Steigerung bestimmen den musikalischen Fluss. Die Diktion ist bereits sehr persönlich (die quasi Opernszene im 2. Satz!), die Motivik nimmt in Teilen Don Juan und Till Eulenspiegel (3. Satz!) vorweg.
Die virtuosen Anforderungen an beide Instrumente sind beträchtlich, brillante Effekte und virtuose Glanzlichter lustvoll gesetzt und so recht dazu angetan, den InterpretInnen zu gestatten, aufs Beste zu demonstrieren, was sie instrumentaltechnisch und farbig-klanglich alles „draufhaben“. Unwiderstehlich der jugendliche Elan dieser Musik, bezaubernd (selbst in ihrem leichten Hang zur Sentimentalität) die schwelgerisch-sanglichen Teile, in denen man zu hören glaubt, dass der Komponist zu dem Zeitpunkt gerade frisch verliebt war, ausnahmsweise diesmal in die „richtige“ Frau, die Sängerin Pauline de-Ahna, die er bald darauf heiraten und mit der er sein gesamtes weiteres Leben verbringen wird. Bei aller Äußerlichkeit: Diese Sonate ist ein spätromantisches Juwel der Gattung, wir haben nicht sehr viele von dieser Qualität.
Obwohl es bereits andere hochwertige Urtextausgaben gibt (z. B. bei Henle), ist die Neuedition, deren Notentext als Einzelausgabe der Kritischen Ausgabe sämtlicher Werke von Strauss bei UE folgt, sehr willkommen. Der Druck ist lesefreundlich, die Wendestellen sind praktisch und überlegt gesetzt. Anmerkungen zum Notentext fehlen, können aber (kostenfrei) über die angegebene Website eingesehen werden. Gewünscht hätte ich mir ein Vorwort, das die Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte der Sonate etwas näher beleuchtet.
Herwig Zack