Brahms, Johannes
Sonate für Klarinette und Klavier Nr. 2 Es-Dur op. 120 Nr. 2
hg. von Hans Gál, mit einem Nachwort von Ulrich Mahlert
Die vorliegende Ausgabe aus der Urtext-Reihe von Breitkopf & Härtel lässt besondere editorische Sorgfalt erwarten. Der Verlag verspricht auf seiner Homepage: „Breitkopf Urtext[e] […] berücksichtigen alle wesentlichen Quellen. Dazu zählen neben Autografen und Erstausgaben oft auch zeitgenössische Aufführungsmateriale. Breitkopf Urtext […] teilt Quellenunterschiede im Kritischen Bericht oder auch in Kleinstich im Notentext mit. Herausgeberentscheidungen sind stets klar erkennbar. Die Kritischen Berichte sind stets in der Partitur enthalten.“
Bei der Sonate für Klarinette und Klavier Nr. 2 Es-Dur op. 120 Nr. 2 von Johannes Brahms erhält man jedoch nur einen unkommentierten Abdruck aus der Brahms-Gesamtausgabe der Wiener Gesellschaft der Musikfreunde, der seinerzeit von Hans Gál (1890-1987) editiert wurde. Hinzugefügt ist nur ein lesenswertes Nachwort von 2001 zur Entstehung, Uraufführung und zum Charakter der Sonate von Ulrich Mahlert.
Wie die Wissenschaft die Wiener Gesamtausgabe heute bewertet, lässt sich beim Forschungsinstitut der neuen Brahms-Gesamtausgabe in Kiel nachlesen: „Die alte Brahms-Gesamtausgabe […] wurde […] hauptsächlich in den Jahren 1926–1927 herausgegeben […] Erarbeitet wurde die alte Gesamtausgabe von Brahms’ Vertrautem Eusebius Mandyczewski und dessen Schüler Hans Gál. […] [D]ie Herausgeber [beschränkten] sich bei ihrer editorischen Arbeit weitgehend auf die Handschriften und gedruckten Handexemplare aus dem Nachlass des Komponisten […], die sich im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien befinden. […] [D]och blieben viele weitere überlieferte Autographe ebenso wie ein Großteil der abschriftlichen Stichvorlagen, der späteren Druckauflagen sowie der Stimmenquellen unberücksichtigt. Die Revisionsberichte der Bände beschränkten sich in vielen Fällen auf die Nennung des Handexemplars und erscheinen heute insgesamt kaum mehr zureichend.“
Diese grundsätzlichen Kriterien stellen die Sinnhaftigkeit der vorliegenden Ausgabe in Frage. Abgesehen davon weist die Edition nur geringfügige Abweichungen z. B. zum Henle-Urtext auf: So bei der Positionierung von Crescendo-/Decrescendo-Gabeln (offensichtlich musikalisch unlogisch im Klavier des 3. Satzes T. 37 übernommen) und bei zusätzlichen Ausdruckshinweisen. Zwei Druckfehler finden sich im Klarinettenpart: Im 2. Satz fehlt in T. 27 das auftaktige c2 und im Schlusssatz in T. 112 beginnt die Auftaktfigur mit f statt wie in allen anderen Ausgaben mit g. Eine unterschiedliche Lesart gibt es im Klavierpart des 1. Satzes: In T. 162 stehen Akzente, während bei Henle die weicher zu spielende Decrescendo-Gabel über zwei Achtel gesetzt wird.
Der insgesamt zuverlässige Breitkopf-Urtext ist ein Beleg für die Sorgfalt des Komponisten bei der Veröffentlichung seiner Werke, genügt aber nicht dem Selbstanspruch des Verlags.
Heribert Haase