Raff, Joachim
Sonate für Klavier und Violoncello op. 183
Hg. von Claus Kanngiesser
Er suchte den Ausgleich: Als Assistent und Sekretär Liszts stand Joachim Raff den „Neudeutschen“ nahe, als Kammermusikkomponist zählte er zu den Weggefährten von Brahms, als Pädagoge und Direktor des Frankfurter Hoch’schen Konservatoriums bemühte er sich, die konkurrierenden Lager zusammenzubringen, das „Beste aus zwei Welten“ für die Nachwelt nutzbar zu machen. Sein Schaffenskatalog ist umfangreich: Er umfasst Chormusik, Orchesterwerke – darunter die zu Raffs Lebzeiten sehr erfolgreichen Programmsinfonien „Im Walde“ und „Lenore“ – sowie große Mengen salon-affiner Klaviermusik, darunter Paraphrasen über Opernthemen von Don Giovanni bis Tannhäuser.
Über die Entstehungsgeschichte seiner 1873 komponierten D-Dur-Cellosonate op. 183 ist wenig bekannt. Severin Kolb – Leiter des im schweizerischen Lachen (Raffs Geburtsort) beheimateten Raff-Archivs – schildert im Vorwort das wenig geschäftstüchtige Agieren des Komponisten im Zusammenhang mit dem Werk. Die Sonate kam schließlich bei C. F. W. Siegel heraus, doch anders als im Fall früherer Kammermusikwerke verband Raff die Publikation nicht mit einer Widmung an einen namhaften Interpreten. Auch Hans von Bülow und der Cellist Bernhard Cossmann – langjährige Freunde Raffs – hatten die Sonate offenbar nicht im Repertoire.
Die Berliner Uraufführung wurde von Adolf Rohne (Cello) und Julius Alsleben (Klavier) bestritten. Ein Kritiker der Neuen Zeitschrift für Musik konzedierte der Novität zwar „einen fließenden und gewandten Styl“, merkte jedoch an, das Werk gewähre „in den Gedanken kaum einen Anhalt zu besonderer Theilnahme“. Kritischer noch äußerte sich ein anderer Rezensent: „Wo er [Raff] sich der starken Reizmittel der ,Neudeutschen‘ enthält, wie in dieser Sonate, da wird er zopfig in der schlimmsten Weise.“
Hier mögen Parteilichkeiten hineingespielt haben, indes: Dem Eindruck von Zopfigkeit kann man kaum widersprechen. Nur der Finalsatz des umfangreichen viersätzigen Werks beginnt mit einem schwungvoll-inspirierten Thema, viele andere Haupt- und Neben-„Gedanken“ und deren Verarbeitung muten gesucht, bisweilen recht steif an. Gewiss war hier ein profunder Tonsetzer am Werk. Eine wirklich spannende, dankbar zu spielende Sonate ist indes nicht herausgekommen.
Raff tituliert das Werk zu Recht als „Sonate für Klavier und Violoncello“ und folgt damit einer Tradition des frühen 19. Jahrhunderts, die den avancierten Möglichkeiten des Cellos anno 1873 kaum gerecht wird. Über weite Strecken bewegt sich der Cellopart im unteren und mittleren Tonspektrum und bietet mithin relativ leichte Spielbarkeit, aber wenig „Attraktion“. Der Klavierpart hingegen enthält einige Kniffligkeiten.
Editorisch wurde sehr gute Arbeit geleistet, und Claus Kanngiessers Einrichtung des Celloparts zeugt nicht zuletzt von der hohen stilistischen Kompetenz dieses exzellenten Cellisten.
Gerhard Anders