Gross, Johann Benjamin

Sonate

für 2 Violoncelli

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Pan, Basel/Kassel 2015
erschienen in: üben & musizieren 3/2016 , Seite 55

Er musizierte mit Zelebritäten wie Henri Vieuxtemps und Heinrich Wilhelm Ernst, er stand in Kontakt mit Robert Schumann und wirkte zeitweise als Kompositionslehrer der noch jungen Clara Wieck. Und doch bedurfte es editorischer Pionierarbeit, um uns Persönlichkeit und Werk dieses Mannes nahe zu bringen: Folckert Lüken-Isberner, renommierter Architekt und Musikliebhaber, stieß beim Stöbern im ­Familienarchiv auf einen Nachruf zum Tod seines Vorfahren, des Cellisten und Komponisten Johann Benjamin Gross und nahm dies zum Anlass, dessen Leben zu erforschen und seine Werke zu edieren. Geboren im Jahr 1809, erhielt Gross bereits 14-jährig seine erste Anstellung als Orchestercellist. 1832 ging Gross nach Leipzig, trat erfolgreich im dortigen Gewandhaus auf und übersiedelte bald darauf ins estländische Tartu. Hier war er unter anderem Streichquartettkollege des späteren Leipziger Konzertmeisters Ferdinand David. 1837 wurde Gross 1. Cellist im Hof­orchester St. Petersburg, später erhielt er den Titel eines kaiser­lichen Kammermusikus und wirkte als Professor am dortigen Lyceum und als Lehrer des Großfürsten Michael. 1848 erkrankte er an der Cholera und starb noch im selben Jahr.
Das Autograf der vorliegenden Sonate befindet sich in Privat­besitz. Vermutlich entstand sie während Gross’ später Petersburger Jahre. Mag die Verlags­ankündigung, die Sonate offenbare „großartige Musik“, auch ein wenig hoch gegriffen bzw. editorischem Eifer geschuldet sein, so erblicken wir allemal ein makellos komponiertes, dem Bariton- und Tenortimbre des Cellos auf den Leib geschneidertes und über weite Strecken melodienseliges Werk. Der Komponist dürfte sich – auch nach den Maßstäben des frühen 19. Jahrhunderts – hier eher an den ambitionierten Dilettanten gerichtet haben: Der Ambitus bis zum a’ wird nirgends überschritten, es finden sich nur wenige Doppelgriffe und keinerlei virtuoses Figurenwerk. Die technischen Anforderungen sind mithin überschaubar. Kontrastierend zur Gesanglichkeit des 1. und 2. Satzes präsentiert sich das Finale als buffoneskes Rondo, ausgehend von einem „hüpfenden“ Hauptthema.
Gross’ Duo-Sonate eignet sich sehr gut als Unterrichtsstück von mittlerem Schwierigkeitsgrad. Ihr kompositorischer Standort liegt auf der Linie der Celloduos von Jacques Offenbach und Friedrich August Kummer, deren Witz und Raffinesse Gross indes nicht erreicht.
Im Programm des Verlags Pan finden sich mittlerweile mehrere Titel aus Gross’ Œuvre: hauptsächlich Cellowerke, aber auch zwei Streichquartette. In den editorischen Anmerkungen entdecken wir zudem einen Hinweis auf Duos „für Cello und Basso continuo“. Sollte Gross in der Tat zu Zeiten Mendelssohns bisweilen noch im „Alten Stil“ komponiert haben? Verlag und Herausgeber seien hiermit um eine erhellende Information gebeten!
Gerhard Anders