Hiller, Ferdinand
Sonaten für Klavier
Hg. von Oliver Drechsel, mit CD
Seit 1951 gibt die Arbeitsgemeinschaft für rheinische Musikgeschichte die Reihe „Denkmäler rheinischer Musik“ heraus, seit 2002 im Verlag Dohr. Band 35 enthält sechs Klaviersonaten von Ferdinand Hiller. Zusätzlich zu den drei zu Lebzeiten des Komponisten veröffentlichten Sonaten op. 47, 59 und 78 hat Herausgeber Oliver Drechsel drei bisher unveröffentlichte Sonaten des zum Zeitpunkt der Komposition 15-jährigen Schülers von Johann Nepomuk Hummel ausgewählt.
Der 1811 in Frankfurt am Main geborene Komponist, Pianist und Dirigent Ferdinand Hiller war der Stadt Köln in besonderer Weise verbunden, da er dort, nach Studienjahren in Weimar und Aufenthalten in Paris, Rom und Leipzig, 1849 als Städtischer Musikdirektor Leiter der Rheinischen Musikschule und 1850 Dirigent des Gürzenich-Orchesters wurde. Beide Positionen hatte er bis 1884 inne.
Die drei Jugendsonaten überzeugen bei sicherer Beherrschung des Handwerks durch ihren Einfallsreichtum und eine pianistisch wirkungsvolle Schreibweise. Noch etwas konventionell gibt sich die erste Sonate, ein spielfreudiges dreisätziges Werk in G-Dur. Spannender ist die zweite Sonate in a-Moll, die durch fantasievolle, an Franz Schubert erinnernde Modulationen überrascht. Besonders originell ist das Seitenthema des ersten Satzes, das, von C-Dur ausgehend, über B-Dur, b-Moll und As-Dur nach Umdeutung des as in gis über a-Moll nach C-Dur zurückkehrt. Auch im dritten Satz, einer Variationenreihe in A-Dur, macht sich Hillers Freude an einer farbigen Harmonik bemerkbar. Der Schlusssatz ist ein virtuoses Rondo in beinahe durchgehender Sechzehntelbewegung. Die stilistisch ähnliche dritte Sonate in F-Dur enthält als einzige der drei Sonaten einen eindeutig langsamen Satz (Molto adagio).
Schon in der formalen Anlage unterscheiden sich die drei mit Opuszahlen versehenen Sonaten deutlich von den am klassischen Sonatenschema orientierten Jugendwerken. Sie tragen noch den Titel „Sonate“, tendieren aber stark zur freien Fantasie, etwa in der Art von Felix Mendelssohn Bartholdys Phantasie op. 28. Im Ausdruck sind sie individueller und romantischer als die frühen Werke, in den pianistischen Anforderungen virtuoser. Die Sonatenhauptsatzform erscheint nur noch ein einziges Mal: im Schlusssatz der Sonate g-Moll op. 78. Ansonsten „bestimmt“, wie Oliver Drechsel im Vorwort treffend bemerkt, „der Inhalt die Form“.
Die editorisch sehr sorgfältig erstellte und repräsentativ in Hardcover gebundene Ausgabe enthält neben einem informativen Vorwort des Herausgebers die Titelblätter der Erstausgaben als Faksimiles. Besonders wertvoll ist die von Oliver Drechsel hervorragend auf einem Broadwood-Hammerflügel eingespielte CD mit allen Sonaten außer der Jugendsonate G-Dur.
Sigrid Naumann