Corelli, Arcangelo

Sonaten für Violine und Basso continuo op. 5

Band 1: I-VI/Band 2: VII-XII, Urtext, hg. von Christopher Hogwood und Ryan Mark, Partitur und Stimmen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2013
erschienen in: üben & musizieren 5/2013 , Seite 59

Nur wenige Werkzyklen der Barockzeit für Violine können es, was musikalische Reichhaltigkeit, nachhaltige Wirkung auf die Zeitgenossen und bis heute ungebrochene Popularität angeht, mit Arcangelo Corellis 12 Sonaten op. 5 „a Violino e Violone o Cimbalo“ aufnehmen. Als Corelli sie im Jahr 1700 in Rom veröffentlichte, verblüffte die Tatsache, dass einer der führenden Violinvirtuosen seiner Zeit hier Sonaten vorstellte, die eben nicht virtuose Grenzen der Spieltechnik seiner Zeit ausreizten und im Gegenteil dem virtuosen Element eher eine untergeordnete Randfunktion beimaßen.
Der Zyklus ist in zwei Teile gegliedert. Die Sonaten 1 bis 6 folgen recht streng dem Formschema der Sonata da Chiesa – mit der Satzfolge Langsam / Mäßig schnell und polyfon / Langsam bzw. Sehr langsam / Schnell und virtuos. Die Sonaten 7 bis 11 sind Kammersonaten (Sonate da Camera), hier handelt es sich zumeist um eine Abfolge stilisierter Tanzsätze. Eine Sonderstellung nimmt Nr. 12 ein: die berühmten Variationen über La Follia. Prachtvoll ist die Farbigkeit und Lebendigkeit dieser Musik, in der sich die ganze Sinnlichkeit und Lebensfreude des italienischen Hochbarock manifestiert. Kein Wunder, dass Corellis Op. 5 prägenden Einfluss auf seine Zeitgenossen hatte, dass Musiker wie Geminiani, Tartini, Valentini, Dubourg, McGibbon und andere kunstvoll ausgezierte Fassungen spielten und veröffentlichten.
Natürlich bilden die Sonaten auch heute einen festen Bestandteil im Repertoire jedes jungen Geigers. Mit dieser Bärenreiter-Edition liegt jetzt – neben der Wiener Urtext Edition – eine weitere hochkarätige Ausgabe vor. Chris­topher Hogwoods Einführung vermittelt einen profunden Blick auf Entstehungsgeschichte und Quellenlage, befasst sich mit der Problematik der Generalbass-Aussetzung (von Corelli selbst ist keine Aussetzung überliefert, augenscheinlich war die nur von einer Violone ohne Tasteninstrument begleitete Version für ihn die Primärfassung), mit der Auszierung der Violinstimme, mit Bearbeitungen u. a. für Cembalo solo. Besonders wertvoll erscheint als Beigabe zu beiden Heften eine Sammlung von Bearbeitungen und verzierten Fassungen von Corellis Zeitgenossen und Schülern des Meisters. Abgerundet sind beide Hefte durch Faksimiles verschiedener Auszüge und den sorgsam gründ­lichen Revisionsbericht („Critical Commentary“).
Selten lag mir eine Notenausgabe vor, die derart überzeugend und gelungen praktische und wissenschaftliche Aspekte vereinte; eine Edition, bei deren Durchsicht sich im Übrigen auch nicht ansatzweise ein Gefühl manipulativer Willkür einstellt, sich nie die leise Frage im Hinterkopf meldet, ob hier vielleicht ein sendungsbewusster Herausgeber notiert hat, was Corelli eigentlich gemeint hat und geschrieben hätte, wenn er nicht so schlampig gewesen wäre… Vorbildlich!
Herwig Zack