Georgi, Oliver / Martin Benninghoff
Soundtrack Deutschland
Wie Musik made in Germany unser Land prägt
Bereits auf den ersten Blick überzeugt Soundtrack Deutschland durch opulente Optik: hochwertiges Papier, ansprechendes Layout, ausdrucksstarke Hochglanz-Fotos der interviewten Künstlerinnen und Künstler (von Daniel Pilar) und gut lektorierte, weitestgehend fehlerfreie Texte. Dass im zweiten Schritt das Rezensenten-Hirn reflexartig in den Mäkel-Modus schaltet, würden die Autoren und auch viele der Interviewten womöglich als „typisch deutsch“ bezeichnen: Fehlen unter den 23 Interviews nicht viele Namen, ohne die eine Betrachtung der Musik „made in Germany“ undenkbar scheint? Wo sind die Gespräche mit Udo Lindenberg, Herbert Grönemeyer, Nena oder Nina Hagen?
Doch gemach: Beim Einlesen in die Gespräche zeigt sich, welch weiter Horizont hier eröffnet wird. Viele der angesprochenen deutschen Musikgrößen, die die Musik „made in Germany“ maßgeblich beeinflusst haben, kommen zwar nicht selbst zu Wort, sind aber durch Bezugnahmen und Aussagen jüngerer Kolleginnen und Kollegen immer präsent. Voller Respekt zählt etwa Johannes Oerding die „Big Five“ auf – Herbert Grönemeyer, Marius Müller-Westernhagen, Wolfgang Niedecken, Peter Maffay und Udo Lindenberg –, die der jungen Generation deutscher Singer-Songwriter den Weg bereitet haben.
Ohne Scheuklappen und Angst vor Genregrenzen haben Oliver Georgi und Martin Benninghoff ihre GesprächspartnerInnen ausgewählt und bieten ein Spektrum, das von David Garrett als Grenzgänger zwischen U und E über die noch immer umstrittene Schlagerlegende Heino bis zu Rockgrößen wie Klaus Meine und aktuellen Techno-Stars wie Felix Jaehn oder Sven Väth reicht. Fast alle eint die Erfahrung, wie schwierig es ist, sich als deutscher Künstler mit deutschen Texten gegen die Übermacht angloamerikanischer Pop- und Rockmusik zu behaupten. Und Frauen – nur vier der 23 Gespräche wurden mit Frauen geführt – können berichten, wie viel schwerer sie es noch immer haben, sich im männerdominierten Popbusiness durchzusetzen. So gingen etwa für Judith Holofernes, Sängerin und Frontfrau von „Wir sind Helden“, nach der Geburt ihres Kindes auf einmal „alle möglichen Türen zu; ich war plötzlich erwachsen, nicht mehr Pop, kein Jugendformat mehr.“
Die beiden Autoren kratzen nicht nur an der Oberfläche, sondern führen tiefgehende Gespräche. Die meist angenehme Atmosphäre, von der sie selbst immer wieder berichten, ist auch beim Lesen zu spüren. Die Interviewten öffnen sich den Fragestellern und geben Einblick in ihr Denken und Fühlen jenseits von Oberflächlichkeiten und Banalitäten.
Zusätzlich gibt es sechs reflektierende Beiträge der Autoren, in denen sie u. a. nach dem provokanten Potenzial von Pop und Rock fragen, darüber nachdenken, weshalb es Unterhaltung in Deutschland oft so schwer hat, oder der Frage nachgehen, wie Migration die deutsche Pop- und Rockmusik verändert hat.
Rüdiger Behschnitt