Kleeb, Jean

Southway

Suite für Klavier, mit App

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Helbling, Innsbruck 2018
erschienen in: üben & musizieren 3/2019 , Seite 56

Southway, das heißt „südwärts“ schickt der 1964 im brasilianischen Santo André geborene, seit 1991 in Deutschland lebende Komponist Jean Kleeb den Klavierspieler in seiner so betitelten fünfsätzigen Suite für Klavier. Gemeint ist damit im engeren Sinn eine Reise nach Südamerika und zu seinen Ureinwohnern. Kleeb lässt sich bei den fünf Southway-Stücken von Motiven aus Legenden und Ritualen der indianischen Kulturen sowie von Eindrücken der Landschaften Patagoniens inspirieren. Dabei verfolgt er die Absicht, südamerikanische Volksmusik mit europäischer Kunstmusik zu verschwistern und eine Stilsynthese aus Klassik und Folklore, aus Tradition und Moderne, aus E- und U-Musik zu erreichen.
Die fünf Einzelnummern stellen dem Spieler knifflige Aufgaben. Dies betrifft vor allem die vielfältig wechselnden Takt- und Rhythmusstrukturen der Komposition und manche herausfordernde polyrhythmische Führungen der beiden Hände, wenn ­etwa Halbe-Triolen der Linken gegen vier mal vier Sechzehntel der Rechten stehen. Am schlichtesten in dieser Hinsicht gibt sich die abschließende Cantiga nostálgica in sparsam zweistimmigem Satz, zurückhaltendem Tempo (Andante amabile) und stabilem 6/8- bzw. 3/4-Metrum. Hier ist auch die sonst eigenwillige Harmonik am ehesten an eine traditionelle europäische Klangsprache angelehnt: Das „Charakterstück“ der Klaviermusik des neunzehnten Jahrhunderts scheint durch.
Insgesamt muss der Spieler in Southway ein weites Ausdrucksspektrum durchmessen. Auf der einen Seite stehen die fast impressionistischen, mit viel Freiheit zu gestaltenden Klangchiffren des Einleitungsteils von Ipirungaua, wobei auch Feinheiten des Pedalspiels („lasciare vibrare il pedale“) gefordert werden. Ähnlich verträumt wirkt die Nummer 3, Yehuin, benannt nach einem großen See in Feuerland: Mit weich fließenden Bewegungen, die sich über alle Wechsel von 4/4- und 7/8-Takten hinwegschlängeln (die zeitweilig in sehr engem Abstand verlaufenden Stimmen sind der Übersicht wegen teils auf drei Systemen notiert). Den Gegenpol bilden die rhythmisch straffen Passagen in der Dança mit ihren Samba und Baiaio-Rhythmen sowie der einer afro-brasilianischen Gottheit huldigende Xangô: ein rasantes „Allegro con brio“ mit schlagzeugartigen Effekten der Rechten im Wechsel zwischen Diskant- und Basslage, getragen von einer fortlaufenden Bewegung der Linken als Mittelachse.
Die vorliegende Notenedition bietet dem Käufer des Bands einen zusätzlichen Service: Ein mitgelieferter Zugangscode erlaubt das Herunterladen einer App auf Smartphone oder Tablet, mit der sich Audio-Aufnahmen aller Sätze dieser Suite anhören lassen. Dies ist eine wertvolle Hilfe beim Einstudieren der Komposition: Manches, was im Notentext zunächst verwirrend anmutet, wirkt beim Anhören der Musterinterpretation gleich einleuchtender und schlüssiger.
Gerhard Dietel