Haydn, Joseph

Späte Klaviersonaten

Urtext, hg. von Bernhard Moos­bauer und Holger M. Stüwe

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2017
erschienen in: üben & musizieren 1/2018 , Seite 62

Obwohl die Haydn-Sonaten gern von professionellen PianistInnen vorgetragen werden, sind die Stücke wegen ihrer nie übertriebenen Virtuosität wie geschaffen für Laien. Dennoch versteht es sich von selbst, dass diese ­Werke nicht als Anfängerstücke durchgehen. Eine solide Beherrschung der technischen Mittel sowie ein geschulter Ausdruck sind erforderlich.
Das betrifft vor allem die 1794/ 95 in London komponierten Sonaten C-Dur und Es-Dur, die Haydn der Pianistin Therese ­Jansen zueignete. „Die pianistischen Fähigkeiten und musikalische Bildung seiner Widmungsträgerinnen bzw. Adressatinnen erlaubten es ihm, seinen kompositorischen Vorstellungen uneingeschränkt zu folgen und Werke von höchstem Rang zu schaffen“, schreiben die Herausgeber treffend im Vorwort. Gleichwohl darf sich der „Dilettant“, der im 18. Jahrhundert noch als Lieb­haber einer Kunst und nicht als Stümper galt, auf den Komponisten selbst berufen. Entstanden sind einige Sonaten auch für spielfreudige Damen der besseren Gesellschaft. Den Urtext-Herausgebern dienten Autografen als Quellen; wo Handschriften nicht mehr aufzufinden waren, mussten Erst- und Frühdrucke einspringen.
Solche Textarchäologie bringt es mit sich, dass Anweisungen und Schreibweisen nicht immer leicht zu interpretieren sind. Aber die Edition, wie gewohnt mit kritischem Apparat und lesefreundlichem Notenbild, wägt Probleme sorgfältig ab. Der Anhang bietet sogar eine zusätzliche Fassung des zweiten Satzes der C-Dur-Sonate Hob. XVI:50. Vortragsbezeichnungen und Fingersätze werden genau und undogmatisch besprochen. „Ein Fingersatz ist aber niemals für alle Pianistenhände geeignet, weshalb die Fingersätze dieser Ausgabe als Anregung zu verstehen sind, eigene Wege zu suchen“, bemerkt Rebecca Maurer in ihren Hinweisen zur Aufführungspraxis.
Manches weist im schlanken Satz auf das Clavichord oder das Cembalo hin. Anderes lässt im vollgriffigeren Spiel eher ans Hammerklavier denken, dessen Wiener und Londoner Bauart deutliche Unterschiede zeigen, wie Maurer erläutert. Auch diskutiert sie differenziert den Übergang vom Cembalo zum Fortepiano, da Haydns Klaviermusik in diese Zeitspanne fällt. Haydn hat die Sonate Es-Dur Hob. XVI:49 ausdrücklich „per il Forte-piano“ konzipiert und verlangt nuancenreichen Vortrag. Einiges ist erkennbar pianistisch gedacht, etwa die Es-Dur-Sonate Hob. XVI:52, anderes hat auch auf einem Cembalo seinen Reiz, wofür – ungeachtet weniger Takte – der Spielwitz des finalen Rondos in Hob. XVI:48 als Beispiel dienen mag.
Haydn zeichnet nicht bloß ein mitunter graziler Spieluhren-Charme aus, sondern auch eine expressive Tastenkunst, wobei keine dieser späten Sonaten in einer Moll-Tonart geschrieben ist. Haydns Frohnatur kommt hier häufig zum Ausdruck, auch wenn er Schatten zu werfen versteht, die der Helligkeit erst die rechte Bedeutung verleihen.
Roland Mörchen