Jussim, Igor

Städte & Rhythmen

12 Stücke für Klavier zu vier Händen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2013
erschienen in: üben & musizieren 6/2013 , Seite 56

Der 1954 in Odessa geborene Komponist und Pianist Igor Jussim, seit 1992 in Deutschland ansässig, geht mit seinem neuen Band Städte & Rhythmen einen originellen Weg, um jüngere und vielleicht auch weniger junge SpielerInnen mit zahlreichen Tanzrhythmen der alten und der neuen Welt bekannt zu machen. Das Vierhändigspiel erweist sich dabei als besonders geeignetes Medium durch die Wechselwirkung von rhythmischer Hilfe des jeweils anderen Parts und der Herausforderung zu besonders präziser Ausführung des eigenen Parts.
Jussim wählt nicht die – denkbare – Variante „schwerer Secondo-Part“ (Lehrkraft spielt „unten“) und „leichter Primo-Part“ (SchülerIn spielt „oben“), sondern er stellt beide SpielerInnen im ­Wesentlichen vor vergleichbare Schwierigkeiten im Mittelstufenbereich, wenngleich der Anteil an akkordischem Material naturgemäß im Secondo etwas stärker ausfällt.
Polyrhythmische Aufgaben „2 gegen 3“ bzw. „3 gegen 4“ im Gegeneinander beider Ausführenden gilt es hier und da zu ­lösen, aber auch Synkopik und ­Gegenakzentuierungen führen manches Stück über gemütlich-überraschungsarmes Blattspiel deutlich hinaus.
Man bereist mit diesem Heft musikalisch zunächst halb Europa, angefangen von Böhmen (Polka) über Wien (Walzer), die Oberpfalz (Zwiefacher), Paris (Musette), Granada (Canto gitano), Neapel (Tarantella) bis zum ausgelassenen griechischen Chasaposervikos à la Alexis Sorbas. Dann geht es über den Atlantik, wo der Bossa Nova von Rio, die Milonga von Buenos Aires, die Rumba von Havanna und der Ragtime von St. Louis auf die Spielenden warten. Der Kreis schließt sich wieder in Europa mit einem Klezmer-Tanz vom Schwarzen Meer.
Jussim gelingt es, den sehr unterschiedlichen nationalen Stilen gerecht zu werden. Seine Melodik hat durchaus anrührende Momente, so vor allem in der „Rumba triste“ und im „Bossa Nova“ (der nebenbei gut als Vorstudie zu Jean Françaix’ Danses exotiques für zwei Klaviere geeignet ist). Auch in scheinbar so ausgereizten Tanztypen wie dem Wiener Walzer oder dem Ragtime fallen ihm originelle rhythmische Modelle ein. Lediglich der Tarantella fehlt es etwas an harmonischer und melodischer Abwechslung. Das eigenwilligste und vielleicht wertvollste Stück ist der „Canto gitano“, eine Sere­nata im Cante-jondo-Stil, die mit gewagter Flamenco-Harmonik und zahlreichen Taktwechseln einen ganz aparten Eindruck hinterlässt.
Der Würzburger Pädagoge Bernd Clausen erläutert mit knappen, aber fundierten Einführungstexten das kulturgeschichtliche Umfeld des jeweiligen Tanzes. Die Edition bereichert das Genre des Vierhändigspiels um eine wertvolle Komponente.
Rainer Klaas