Mozart, Wolfgang Amadeus

Stücke aus dem ­Nannerl-Notenbuch

Nach den Quellen herausgegeben und mit Fingersätzen versehen von Ulrich Leisinger, Ergänzung des fragmentarischen Klavierstücks KV 9b von Robert D. Levin

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Wiener Urtext, Wien 2008
erschienen in: üben & musizieren 2/2009 , Seite 56

Ausgaben mit Werken des „jungen Mozart“ gibt es wie Sand am Meer. Warum erneut Sand zum Meer tragen? Der Band enthält ausschließlich Kompositionen von Wolfgang Amadeus Mozart, hinzu kommt die stilsichere Ergänzung des fragmentarischen Klavierstücks KV 9b in B-Dur durch Robert D. Levin. Die Ausgabe, „nach den Quellen herausgegeben und mit Fingersätzen versehen“, bietet nur spärliche Zusätze zur Ausführung; auch Vorschläge zur Ausführung von Verzierungen gibt es nicht. Authentizität scheint gewahrt, doch welches sind die Quellen? Diese – Autografe? Erstdrucke? – werden nicht einzeln aufgeführt.
Die Schwester Mozarts, Maria Anna, erhielt das Notenbuch zu ihrem Namenstag am 26. Juli 1759, kurz vor ihrem achten Geburtstag. Der Band wurde schon bald auch zum Lehrwerk für den Unterricht des jüngeren Bruders. Dennoch verblieb er in Nannerls Besitz, was zur Folge hatte, dass nur noch „ein Torso mit insgesamt 36 Blättern erhalten“ blieb (Vorwort), da sie später einzelne Blätter verschenkte.
Bei den 18 vom jungen Mozart komponierten Stücken handelt es sich vorwiegend um Menuette und kürzere Sätze in den damals gebräuchlichen Tonarten. Interessant ist es zu beobachten, wie sich Mozarts Kompositionsstil in einem Zeitraum von knapp drei Jahren entwickelte. Hebt die Werkgruppe mit einem achttaktigen Andante in C-Dur (KV 1a) aus dem Frühjahr 1761 an, so endet sie mit eben jenem schon recht komplexen unvollendeten Klavierstück in B-Dur (KV 9b, vermutlich 1764 komponiert).
Dass sich die Stücke zum großen Teil auch bestens für den (zum Teil gehobeneren) Elementarunterricht eignen, steht außer Frage. Doch dieser neu erschienene Band bietet im Unterricht einige Klippen, die eine erfahrene Lehrkraft durch eigene handschriftliche Eintragungen und Erläuterungen meistern kann. Dennoch ist die Sammlung wohl nicht unbedingt für den Anfängerunterricht herausgegeben worden.
Es fragt sich ohnehin: Warum diese Extraktion von Wolfgang Amadés originalen Werken, die Leopold doch in seinem Notenbuch für Nannerl mit anderen Kompositionen – von sich selbst, von Georg Christoph Wagenseil, Carl Philipp Emanuel Bach, Johann Joachim Agrell u. a. – umgab? Diese Einbindung bildet einen lebendigen Einblick in die didaktische Arbeit von Vater und Lehrer Leopold; ein Separieren von Wolfgang Amadeus Mozarts eigenen Kompositionen bedeutet, wie es auch im Vorwort der Neuen Mozart-Ausgabe heißt, „Verzicht auf Sinn“.
Dennoch: Die Komprimierung ergibt einen konzentrierten Blick auf Mozarts kompositorische Entwicklung. Leider fehlt die Angabe von Jahreszahlen. Auch ein ausführlicheres Vorwort zur Entstehung des Notenbuchs mit einer Auflistung der anderen Komponisten und vor allem der Frage des editorischen Zwecks dieser Ausgabe wäre wünschenswert.
Barbara Pikullik