Stuttgarter Appell

Der Verband deutscher Musikschulen verabschiedet auf dem Musikschulkongress in Stuttgart weitgehende Forderungen nach festangestellten Lehrkräften

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 4/2017 , musikschule )) DIREKT, Seite 04

Der Verband deutscher Musikschulen (VdM) fordert die Träger seiner Mitgliedsschulen auf, den Anteil angestellter Lehrkräfte kontinuierlich zu erhöhen, um die im Positionspapier der Kommunalen Spitzenverbände geforderte Qualität der öffentlichen Musikschulen zu gewährleisten. Nur über qualitäts­sichernde Rahmenbedingungen für öffentliche Musikschulen, deren Grundlage die Perspektive einer Festanstellung ist, bleibt das Berufsbild Musikschul­pädagoge auch für zukünftige Studienbewerber attraktiv.

Für Musikschulen, die das Ziel einer Vollausstattung mit angestellten Lehrkräften noch nicht erreicht haben, empfiehlt der VdM im Sinne des im Positionspapier der Kommunalen Spitzenverbände (KSV) und im KGSt-Gutachten geforderten „bedarfsgerechten“ Verhältnisses von angestelltem Personal zu Honorarkräften eine stufenweise, in Tempo und Grad an den jeweiligen Rahmenbedingungen orientierte Erhöhung des durch angestellte Lehrkräfte erteilten Unterrichts.
Eine öffentliche Musikschule, wie sie vom VdM in seinem Strukturplan aufgestellt ist, von den Kommunalen Spitzenverbänden in ihrem gemeinsamen Positionspapier gefordert und im KGSt-Gutachten beschrieben wird, ist grundsätzlich nur mit angestellten, weisungsgebundenen und angemessen vergüteten Lehrkräften zu realisieren. Musikschulen, deren Träger von ihren Honorarkräften mehr verlangen als die vertraglich vereinbarten Unterrichtsstunden, um eine Qualität zu erreichen, wie sie grundsätzlich nur mit angestellten Lehr­kräften zu erreichen ist, vertrauen bisher darauf, dass es keine Kläger bei den Gerichten gibt. Vieles hat sich in letzter Zeit – oft zunächst leise und kaum wahrgenommen – so geändert und so zugespitzt, dass sich die Musikschulen im VdM in ihrer fachlichen Verantwortung für die Träger jetzt zu Wort melden müssen.

1. Die zunächst zur Ergänzung des im Kern durch angestellte Lehrkräfte gesicherten Unterrichtsangebotes eingesetzte „freie Mit­arbeit“ hat so zugenommen, dass die vom VdM und den kommunalen Spitzenverbänden eingeforderte Qualität musikalischer Bildung in der Substanz gefährdet ist.

2. Die Sozialgerichte wie auch die Statusfeststellungsprüfungen der Deutschen Ren­tenversicherungen stellen den Einsatz von Honorarkräften aktuell grundsätzlicher in Frage als jemals zuvor, erhöhen für die Träger das Risiko, einstellen und/oder nachzahlen zu müssen (zusätzlich auch für den Arbeitnehmeranteil) und verunsichern dadurch die Träger öffentlicher Musikschulen.

3. Die gerade in den Kooperationsprojekten mit allgemeinbildenden Schulen und auch Kindertageseinrichtungen unverzicht­bare Einbindung in Abstimmungsprozesse mit den PädagogInnen und ErzieherInnen dort sowie die Orientierung der Tätigkeit an inhaltlichen, zeitlichen und räumlichen Vorgaben erfordert Weisungsbindung eben­so wie der „klassische“ Elementar-, Instrumental- und Vokalunterricht.

4. Die Attraktivität des Berufsbildes einer Musikschulpädagogin oder eines Musikschulpädagogen hat durch die mangelnde Perspektive einer Festanstellung so gelitten, dass die Zahl der Bewerbungen für musikpädagogische Studiengänge dramatisch zu­rückgeht und die konkrete Gefahr besteht, dass es in zehn Jahren keinen ausreichenden qualifizierten Nachwuchs mehr gibt.

5. Darüber hinaus gefährdet eine Fluktuation freiberuflichen Personals hin zu Festanstellungen bei anderen Musikschulen, in andere Länder wie auch in andere Arbeitsbereiche die Kontinuität des Unterrichts.

Nur angestellte Lehrkräfte, die auf das Leis­tungspaket der „Zusammenhangstätigkeiten“ verpflichtet sind, können das vollständige, aufeinander abgestimmte, vielfältige und qualitativ hochwertige Angebot der öffentlichen Musikschulen garantieren. Da­durch gewährleisten sie nachhaltige, auf Vertrauen, Verlässlichkeit und auf längere Zeiträume angelegte Bildungsprozesse.
) Nur sie ermöglichen ein für alle Lehrkräf­te verpflichtendes Fortbildungsprogramm, eine intensive beratende Zusammenarbeit mit den Eltern,
) nur sie garantieren eine Begabtenförderung, die sich an den Bedürfnissen und Chancen der Schülerinnen und Schüler orientiert,
) nur sie erlauben notwendige zusätzliche Aktivitäten für gelingende Inklusion,
) nur sie eröffnen einen flexiblen Einsatz für kurzfristige notwendige Vertretungen, für Aktionen und Projekte der Musikschule an Wochenenden und in den Ferien,
) nur sie gewährleisten die regelmäßige Teilnahme an Konferenzen der Fachbereiche, der Stadtteilzentren oder im Rahmen von Projektplanung und -begleitung,
) nur sie stellen damit eine fachlich-inhaltliche Weiterentwicklung der Musikschularbeit sicher.
Gerade die Zusammenarbeit mit den allgemeinbildenden Schulen verlangt – heute mehr denn je – nach einer vertieften Abstimmung, die einen deutlich über den „Netto“-Unterricht hinausgehenden Zeitaufwand erfordert und die Einbindung in schulische Abläufe nach sich zieht. Auch die künstlerisch-pädagogische Abstimmung zwischen Elementarer Musikpädagogik, Instrumental-/Vokalunterricht und Ensemblearbeit braucht Zeit und Flexibilität. All dies müsste bei einem fairen und Rechtssicherheit bietenden Einsatz von Honorarkräften noch zusätzlich vereinbart und honoriert werden.
Erst ein solcher Bildungsorganismus rechtfertigt – neben den Zugangsmöglichkeiten für alle Bevölkerungsschichten und der garantierten Qualität examinierter Lehrkräfte – den Einsatz öffentlicher Mittel für ei­ne öffentliche Musikschule. Die öffentlichen Mittel, die den Einsatz von weisungsgebun­denen, angestellten Lehrkräften ermöglichen, gewährleisten damit genau das pädagogische Plus und den bildungspolitischen Mehrwert, womit sich eine öffentliche Musikschule von anderen Angeboten unterscheidet.

Nur angestellte Lehrkräfte, die auf das ­Leis­tungspaket der ,Zusammenhangstätigkeiten‘ ­verpflichtet sind, können das ­vollständige, aufeinander abgestimmte, vielfältige und qualitativ hochwertige Angebot der öffentlichen Musikschulen garantieren.

Dies ist auch die Erwartung der Träger an ihre öffentlichen Musikschulen. Hierzu be­darf es neben einer professionellen Führung, die diese Leistungen einfordert und sinnvoll einsetzt, einer entsprechenden finanziellen Ausstattung der Musikschulen durch die Kommunen als Träger und ebenso durch die Länder, die hier gleichermaßen verantwortlich für das Bildungsgeschehen sind. Denn Musikschulen ermöglichen eine Berufs-/Studienvorbereitung, die im staatlichen Schulsystem nicht geleistet werden kann.
Es gibt allerdings Rahmenbedingungen und Anlässe vor Ort, die den Einsatz von Honorarkräften in einzelnen Fällen sinnvoll erscheinen lassen, sofern eine Weisungsbindung vermieden werden kann. Zum Beispiel, um Lehrkräfte verpflichten zu können, die anderweitig vollbeschäftigt – etwa an anderen Musikschulen, an Musikhochschulen, an Universitäten, in Orchestern etc. – sind, um Lehrkräfte im Rahmen von zeitlich begrenzten Projekten flexibel einsetzen zu können, um Musikstudierende einsetzen zu können.

Die unverzichtbare Weisungsbindung recht­fertigt und erfordert aus Sicht des VdM klar eine Entscheidung zugunsten von Anstellungsverhältnissen. Dies gilt sowohl für den qualitätsorientierten Unterricht in den Bereichen Elementare Musikerziehung, Instrumental-/Vokal­ausbildung und Ensemblearbeit als auch im Zusammenhang mit musikschulspezifischen Aufgabenstellungen wie Koopera­tion mit allgemeinbildenden Schulen und Kindertageseinrichtungen, Inklusion, Ensemblearbeit, Stadtteilarbeit und Projektarbeit. Bei der in den Papieren von KSV und KGSt geforderten Qualität liegen die Personalkosten für angestellte Lehrkräfte zudem nicht wesentlich über den Kosten für Honorarkräfte, die für die vergleich­baren Leistungen entsprechend zusätzlich vergütet werden müssen.

 

Wann, wenn nicht jetzt? – Kommentar zum Stuttgarter Appell

Mit dem im Mai 2017 verabschiedeten „Stuttgarter Appell“ hat sich – nach langen Jahren teils heftig geführter Diskussionen mit der Gewerkschaft ver.di – nun endlich auch beim VdM, dem wichtigsten Musikschulverband, die Erkenntnis durchgesetzt, dass es ein „Weiter so!“ nicht länger geben kann. Wenn auch der Anlass möglicherweise nicht in erster Linie das soziale und finanzielle Wohlergehen der MusikschullehrerInnen war, hat offenbar die Qualität der Musikschularbeit in den vergangenen Jahren gelitten. So stellt der Stuttgarter Appell denn auch nochmals den bereits von Ulrich Rademacher in der neuen musikzeitung Anfang Mai geäußerten Grundgedanken heraus: was nämlich eine Musikschule ausmacht und dass es dazu festangestellter Lehrkräfte bedarf.
Besonders hervorzuheben und ein neuer Gedanke in der Diskussion: die Auffassung des VdM, dass öffentliche Gelder nicht zur Förderung prekärer Arbeitsverhältnisse einzusetzen sind und sich die Qualität musikalischer Bildung, für die der VdM als Vertreter staatlichen Interesses steht, nur mit fair behandelten, aber auch weisungsgebundenen Lehrkräften erzielen lässt. Da­mit könnte sich die Honorarbeschäftigung wieder zu dem entwickeln, wofür sie eigentlich gedacht war, bevor sie an vielen öffentlichen Musikschulen dauerhaft missbraucht wurde: eine Ausnahme für bestimmte Situationen bzw. bestimmte Personengruppen wie z. B. (angestellte!) Hoch­schuldozentInnen, (angestellte!) OrchestermusikerInnen oder Studierende.
Die von einigen KollegInnen geäußerte Be­fürchtung, es bestehe die Gefahr, dass nun vermehrt Studierende als Lehrkräfte eingesetzt werden, scheint dabei eher gering. In Regionen, in denen Festanstellungen die Ausnahme darstellen wie im Land Berlin, erhalten Studierende aufgrund ­ihrer noch nicht abgeschlossenen Ausbildung seit Jahrzehnten generell weniger Honorar als Lehrkräfte mit abgeschlossenem Studium. Dennoch hat dies nicht dazu geführt, dass an Musikschulen nur noch Musikstudierende unterrichten, denn die Anzahl von Musikstudierenden reicht bei Weitem nicht aus, um die Nachfrage abzudecken, zumal Musikstudierende sich hauptsächlich ihrem Studium widmen müssen und nicht vorrangig dem Unterrichten nachgehen können.
Doch spiegelt der Stuttgarter Appell mit seiner Forderung nach Festanstellung als Normalarbeitsverhältnis an Musikschulen auch die Wünsche der Musiklehrkräfte wider? Greift man auf die Ergebnisse der ver.di-Umfrage von 2012 zurück, so lässt sich in diesem Punkt eine hohe Übereinstimmung zwischen der Aufforderung zu mehr Festanstellung und dem Wunsch der Befragten ausmachen: Knapp 77 Prozent der befragten Honorarkräfte wünschten sich eine Festanstellung, was bedeutet, dass sie sich als Teil des Organismus „Musikschule“ betrachten und eingebunden sein wollen. Und: Wer dies nicht möchte, dem stehen sowohl private Musikschulen als auch die Tätigkeit als Privatmusiklehrkraft offen. Als solche kann schließlich jeder unterrichten, wie und was er will, ohne sich nach irgendwelchen Vorgaben und Lehrplänen richten zu müssen; in einem staatlichen Bildungsinteresse kann dies allerdings nicht liegen.
Bleibt bei allem Positiven die Feststellung, dass der Stuttgarter Appell eben nur ein „Appell“ ist. Niemand kann zu seiner Umsetzung verpflichtet werden und der zeitliche Rahmen sowie die Rahmenbedingun­gen, die den Einsatz von Honorarbeschäftigten legitimieren, bleiben prinzipiell verhandelbar. Und wenn mancherorts wie kürzlich an einer VdM-Musikschule im Land Brandenburg, an der bis auf die Fachbereichsleiter niemand fest angestellt ist, eine Honorarerhöhung von ca. 17 Euro auf ca. 19 Euro pro Stunde von den verantwortlichen Kommunalpolitikern als Erfolg gefeiert wird, zeigt dies, wie weit die Realität von den Forderungen des VdM entfernt sein kann. Und auch das Beispiel einiger Theater, die aktuell eine Mindestgage für Schauspieler einführen, dafür jedoch ein bis zwei Produktionen pro Spielzeit weniger auf die Bühne bringen können, zeigt, dass ein derartiger „Selbstverzehr“ nicht die Lösung sein kann. Der Kuchen wird nicht davon größer, dass man ihn in größere Stücke schneidet.
Für die Umsetzung der Forderungen bedarf es daher weiterhin großer Anstrengungen mit vereinten Kräften über Verbands- und Organisationsgrenzen hinweg. Doch wann, wenn nicht jetzt, da die Steuereinnahmen sprudeln, wäre der Zeitpunkt gekommen, diese für eine faire Behandlung von Lehrkräften, eine qualitativ hochwertige musikalische Bildung und damit zum Allgemeinwohl einzusetzen?

Anja Bossen und Sebastian Herbst