Graham, Peter

Subversive Etudes

für Klavier

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter, Prag 2015
erschienen in: üben & musizieren 2/2016 , Seite 53

„Subversive Etüden“ – das klingt zunächst wie ein Widerspruch. Etüden dienen im Allgemeinen dazu, wiederkehrende Muster zu trainieren, und das bedeutet, Normen zu verinnerlichen. Der Begriff des Subversiven zielt dagegen auf das Infragestellen von Normen. Der Widerspruch ist freilich nur ein scheinbarer, da man auch und gerade das Querdenken üben muss. Hierfür bieten die 32 Klavierminiaturen des 1952 in Brünn geborenen Komponisten Peter Graham (eigentlich Jaroslav Stástny-Pokorny) reichlich Gelegenheit. Sie bieten vielseitige Hör- und Spielerfahrungen und können so die Lernenden darin unterstützen, sich „unerhörten“ Klängen neugierig und mit offenen Ohren zu nähern. Spieltechnisch sind die meisten Stücke der Unterstufe zuzuordnen, doch fordern sie eine genaue Klangvorstellung und geistige Beweglichkeit.
Ein wichtiges Ziel der Sammlung besteht darin, das reiche Klangspektrum des Klaviers erleben zu lassen. Gleich das erste Stück „Suche die Töne!“ bringt den gesamten Tonumfang des Instruments ins Spiel. Eine Anzahl teils vorgegebener, teils selbst gewählter Töne wird nacheinander bei getretenem Pedal angeschlagen, wobei der Schüler oder die Schülerin auf die sich ständig ändernden Zusammenklänge hö­ren soll. In „Drei Zeilen“ spielt die rechte Hand dreimal nach­einander nahezu dieselbe Melodie, während die linke Hand jedes Mal in anderer Oktavlage ­einen stummen Cluster greift. Durch die unterschiedlichen Resonanzen ändert sich in jeder Zeile die Klangfarbe. In „Der kleine Erfinder“ kann man verschiedene Möglichkeiten der Präparation ausprobieren.
Ein weiterer Schwerpunkt der Sammlung gilt dem Rhythmus. Die Stücke „Latein pauken“, „Carlos spielt“ und „Chicago“ führen mit Synkopen und Off-Beat in verschiedene Tanzstile ein. „Afrikanische Spiele“ besteht aus einer ununterbrochenen Achtelbewegung, die in unterschiedlich lange, jeweils mehrfach wiederholte Patterns unterteilt ist. „Devanagiri“ ist eine Übung im 5/8-Takt mit wechselnden Akzenten.
Originelle Stilkopien wie „Eriks Morgenübungen“, „Schlaflied für den kleinen Claude“ und „Der schlimme Igor“ erweitern den musikalischen Horizont. Hier kommt auch der Humor nicht zu kurz, etwa wenn Erik (Satie) sich durch eine Fliege an der Zimmerdecke vom Üben ablenken lässt oder Igor (Strawinsky) sich in einem Wutanfall austobt. In der witzigen Parodie „Zum ersten Mal in der Oper“ ahmt Graham mit einfachsten musikalischen Mitteln die große theatralische Geste nach.
Ergänzt wird die Sammlung durch anregende pädagogische Kommentare von Iva Oplisˇtilová. Die farbigen Illustrationen von And­rea Tachezy tragen wesentlich zum attraktiven Erscheinungsbild des Hefts bei. Eine wichtige Neuerscheinung, die dem Unterricht neue Impulse geben kann.
Sigrid Naumann