Hilsheimer, Gabriele

Supervision für Musikschullehrkräfte

Praxisbegleitende „Fortbildung“ – Ort des Nachdenkens über die berufliche Identität

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 4/1999 , Seite 13

Warum Supervision? Vermutlich unterrichten Sie an einer Musikschule, einer Musikhochschule oder privat und wissen die Freiheit zu schätzen, mit der wir den Unterricht inhaltlich und pädagogisch gestalten können. Die Kehrseite dieser Eigenständigkeit ist, dass wir in manchen Fragen auf uns allein gestellt sind, in denen wir gerne eine Anregung oder einen Rat bekämen.

Haben Sie auch schon einmal eine Unterrichtssituation erlebt, in der Sie lieber nicht gesteckt hätten? Oder kennen Sie Gedanken wie „Jetzt kommt gleich dieser schwierige Schüler! Wäre die Stunde doch schon um!“ Nach dem Unterrichten lässt einen die Situation gedanklich nicht los, vielleicht bespricht man sich mit jemandem, eventuell mit KollegInnen. Man nimmt sich vor, dass der nächste Unterricht völlig anders ablaufen soll. Aber möglicherweise verlaufen trotz aller guten Vorsätze die Stunden in den folgenden Wochen auch nicht wesentlich anders. Dies ist dann weder für Sie noch für den Schüler befriedigend, doch wie kann sich hieran etwas ändern?

Würden Sie an der Städtischen Musikschule Mannheim unterrichten, könnten Sie sich in der Supervision Rat und Unterstützung holen. In der Supervisionsgruppe besteht die Möglichkeit, derartige Fragestellungen im Kollegenkreis unter Anleitung einer Supervisorin zu besprechen. Sie würden dann die Unterrichtssituation noch aus einer anderen Perspektive betrachten können, möglicherweise ein tieferes Verständnis für das Verhalten des Schülers entwickeln und damit anders handeln können. Ihre pädagogische Arbeit würde erleichtert, Sie erlangten mehr pädagogische Kompetenz und Professionalität.

MusikschullehrerInnen und -hochschuldozentInnen durchlaufen kein Referendariat, keine zweite praxisorientierte Ausbildungsphase, wie sie für das Lehramt an allgemein bildenden Schulen üblich ist. Die meisten konkreten Fragen hinsichtlich des Unterrichtsgeschehens tauchen jedoch erst in der Praxis auf, in der Berufsphase, in der keine Beratung mehr vorgesehen ist. So sind wesentliche Elemente des Musikunterrichts dem persönlichen pädagogischen Geschick überlassen.

Supervision kann als eine berufsbegleitende Fortbildung verstanden werden, die dieses Defizit teilweise auffängt, da dort brisante Themen aus dem pädagogischen Alltag besprochen werden können. Die Themenauswahl wird von den Supervisanden bestimmt und setzt genau da an, wo eine Beratung oder eine Information gebraucht wird. Wer mit Menschen arbeitet, ist immer wieder mit schwierigen, vielleicht sogar belastenden Situationen oder Konflikten konfrontiert; diesen anders zu begegnen als mit Jammern, Ironisieren oder Flucht in die Krankheit, ist ein Ziel von Supervision. Sie bietet eine Möglichkeit, Hürden des Berufslebens zu benennen und Lösungsansätze zu bedenken. Anstatt nur unter den Konflikten zu leiden, werden sie zum Anlass für persönliches Lernen und Wachstum. Dabei entsteht im kollegialen Gespräch unter fachlicher Leitung ein verfeinertes Gespür und Wissen bezüglich pädagogischer Fragen. Der offene Austausch mit den KollegInnen wirkt der Vereinzelung in unserem Beruf entgegen.

In den vergangenen Jahren sind die Anforderungen am Arbeitsplatz Musikschule immer härter geworden. Die Stundendeputate wurden durch die Umsetzung des sogenannten „Ferienüberhanges“ auf bis zu 35 zu unterrichtende Wochenstunden erhöht. Gleichzeitig müssen MusikschullehrerInnen durch höhere Unterrichtsgebühren und sinkende Reallohneinkommen immer mehr Kinder und Jugendliche in halben Unterrichtsstunden, im Gruppenunterricht oder in größeren Gruppen unterrichten. Sie sollen möglichst auch neue Unterrichtsformen anbieten, SchülerInnen werben, die Schule öffentlichkeitswirksam präsentieren und Sponsoren finden. Bei dieser zeitlichen Belastung, neben der Vorbereitung, dem Erledigen organisatorischer Aufgaben, eigenem Üben, Elterngesprächen, Vorspielen und Wettbewerben, ist oft die Ruhe nicht mehr vorhanden, sich Gedanken über pädagogische Fragen oder zum Arbeitsfeld Musikschule zu machen. Im Rahmen der Supervisionsgruppe wird Raum für dieses Nachdenken geschaffen.

Sicherlich, die Supervision ist noch ein zusätzlicher Termin, der wie viele andere nicht auf die Arbeitszeit angerechnet wird und für den in der Regel auch die TeilnehmerInnen selbst bezahlen. Doch kann ich aus Erfahrung mit der Supervisionsgruppe an unserer Musikschule sagen, dass Supervision merklich unterstützt und bereichert, so dass die dort verbrachte Zeit nicht Energie nimmt, sondern gibt. Vielleicht sind Sie bereits angeregt, selbst eine Supervisionsgruppe an Ihrer Musik(hoch)schule einzurichten?

Was ist Supervision?

Supervision ist eine Beratungsform ohne Therapieambitionen für Berufstätige. Sie wurde in den Zwanzigerjahren dieses Jahrhunderts zunächst für Psychotherapeuten, später auch für Ärzte und Angehörige anderer sozialer Berufe entwickelt. Seit den Neunzigerjahren hat sie auch in der Fortbildung für LehrerInnen an allgemein bildenden Schulen einen kleinen, aber festen Platz. Zunehmend wird sie in verschiedenen Ausprägungen von Industrie- und Wirtschaftsbetrieben eingesetzt.

Ziel von Supervision ist es, dass die Rat suchenden Supervisanden eigene und fremde Anteile am Handlungsgeschehen besser erkennen können. Berücksichtigt wird dabei die Einbindung in den institutionellen oder organisatorischen Kontext. So kann das eigene Handeln und Verhalten flexibler werden; in Stresssituationen müssen nicht zwangsläufig die Muster ablaufen, welche als problematisch oder belastend empfunden wurden.

Grundsätzlich unterscheidet man zwei verschiedene Arten von Supervision: die Team- und die Fallsupervision.

In einer Teamsupervision geht es um die Klärung von Beziehungen und Kompetenzen innerhalb einer Gruppe, z. B. der MitarbeiterInnen einer Musikschule, also Lehrerkollegium, Verwaltung und Schulleitung. In der Regel sollten die Supervisanden auf der gleichen Hierarchieebene tätig sein. Themen einer Teamsupervision können sein: Kollegialität und Konkurrenz, Kooperation und Kommunikation auf der gleichen und auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen, Qualität der Arbeit und institutionelle Probleme.1 In der Teamsupervision sind alle, um die es sich dreht, anwesend und beteiligt.

In der Fallsupervision steht die Interaktion zwischen LehrerIn und SchülerIn oder LehrerIn und Eltern im Mittelpunkt; über die Probleme im Zusammenhang mit den Schülern oder Eltern wird, in deren Abwesenheit, als „Fall“ berichtet.

Unter dem Begriff Supervision wurde im Lauf der Jahre eine große Vielfalt an Zielen, Inhalten und Verfahrensweisen summiert.2 Praktiziert wird weiterhin das ursprüngliche Konzept der Einzelsupervision, bestehend aus dem Duo SupervisorIn – SupervisandIn. Nach 1945 wurde die Gruppensupervision immer wichtiger, die u. a. auf Michael Balint zurückgeht. Im Kontext Schule hat sich die Gruppenvariante etabliert. Diese bietet neben dem finanziellen Vorteil einen weiteren Pluspunkt: Das in der Gruppe vorhandene Potenzial wird genutzt. Beobachtungen und Deutungen der KollegInnen zu einem Fall erweitern das Spektrum der Perspektiven. Umgekehrt kann man vieles aus den vorgestellten Fällen anderer TeilnehmerInnen auf die eigene Arbeit übertragen und lernt die KollegInnen auf eine neue Art kennen.

Fallsupervision

In der Fallsupervision berichtet der/die LehrerIn über eine als problematisch erlebte Situation mit SchülerInnen oder Eltern. Die Sichtweise der berichtenden Person stellt ihre Perspektive und persönliche Realität dar. An diese „Realitätskonstruktionen“3 knüpft der/die SupervisorIn an und versucht, durch unterschiedliche Methoden den Kontext der Wahrnehmung der eben vorgestellten Situation zu erweitern. Mittels Fragen werden Anregungen gegeben, den Fall von neuen Seiten zu betrachten und eigene und fremde Anteile an der Situation besser zu erkennen. Der/die SupervisorIn kann außerdem neue Deutungen anbieten, zusätzliche Ebenen ansprechen, Informationen, z. B. aus der Kinder- und Jugendpsychologie, einbringen.

Oft ist es für eine Klärung nötig, sehr komplexe Situationen in einzelne Stränge aufzugliedern sowie Sachverhalte und Emotionen auseinander zu dividieren. Wenn an Stelle der Verwicklung eine gewisse innere Distanz zu der erlebten Begebenheit getreten ist, kann das eigene Verhalten differenzierter wahrgenommen werden und sich der Blickwinkel weiten; damit eröffnen sich neben der bisherigen Handlungsweise neue Aspekte und Möglichkeiten. Der Boden für einen anderen Verlauf als den, der als problematisch empfunden wurde, ist bereitet. „Ob und wie eine Veränderung stattfindet, entscheidet der Supervisand“;4 die Entwicklung der Situation ist nicht vorhersehbar.

Die Arbeit des/der SupervisorIn mit den Teilnehmenden ist immer klar auf die vorgestellte Situation bezogen und geschieht nicht in (psycho)therapeutischer Absicht. Dieses Lernen für die berufliche Praxis ist selbstverständlich sehr eng mit einem persönlichen Wachstum verbunden; es lernt der ganze Mensch. Es wird „innen aufgeräumt, um das Äußere zu bewerkstelligen“.5

Supervision kann sich entlastend auswirken und zu einem souveräneren Umgang mit dem Beruf führen. Dies birgt die Chance zu mehr Zufriedenheit und Selbstbewusstsein, was eventuell ein höheres soziales Ansehen zur Folge hat.

Möglicher Ablauf einer Supervisionssitzung

Grundprinzip einer jeden Supervision ist die absolute Schweigeverpflichtung nach außen. Das, was in einer Sitzung gesprochen wird, darf auf keinen Fall hinausgetragen werden. Weiterhin sollte eine von Respekt und Verständnis geprägte Haltung zu Grunde liegen, die sich einer Wertung enthält. Dies ist für Lehrende, die von Berufs wegen werten müssen, manchmal nicht so einfach.

Die meisten Supervisionsansätze gehen davon aus, dass die TeilnehmerInnen einer Fallsupervision aus einer Hierachieebene kommen müssen, also KollegInnen und Schulleitung nicht in einer Gruppe vertreten sein können. Ob und wie streng dies eingehalten wird, ist wohl von Fall zu Fall zu entscheiden, wobei die Persönlichkeiten der Teilnehmenden und ihre Beziehungen zueinander wichtige Faktoren sind.

Eine Begrenzung der Gruppengröße ist notwendig, um die Anliegen befriedigend besprechen zu können und andere Supervisanden nicht auf das nächste Treffen vertrösten zu müssen; die Obergrenze dürfte bei acht bis zwölf TeilnehmerInnen liegen. Häufigkeit und Dauer der Sitzungen sind verhandelbar und hängen auch mit der Gruppengröße zusammen. Es gibt das Setting der fortlaufenden Gruppe, die sich beispielsweise einmal monatlich trifft. Oder es werden eine bestimmte Anzahl von Sitzungen in einem gewissen Zeitraum vereinbart. So bot z. B. die Landesmusikakademie Berlin 1998/99 zehn Termine à 90 Minuten im Zeitraum August bis Januar an.

Beispiel: Grundzüge einer Supervisionsgruppe

Der großen Theorie- und Methodenvielfalt im Fachgebiet Supervision wegen beschränke ich mich im Folgenden auf das Setting und die Grundzüge der Mannheimer Supervisionsgruppe und beschreibe einen typischen Sitzungsverlauf.

Unsere Gruppe ist eine fortlaufende und trifft sich alle vier bis sechs Wochen abends für zwei Stunden in einem Raum der Musikschule. In den fünf Jahren unseres Bestehens hat sich ein fester Kern von ca. sechs TeilnehmerInnen herausgebildet. Die Gruppe ist offen, d. h. zu jedem Termin, der auch jeweils ausgehängt wird, sind neue KollegInnen willkommen. Manchmal wird die Supervision nur ein- oder zweimal aufgesucht, um eine bestimmte Situation durchzusprechen. Wir handhaben das Prinzip der gleichen Hierarchieebene eher locker. Für einen Kollegen war dies ein Problem, was er aber erst später, nachdem er nicht mehr teilnahm, in anderem Zusammenhang äußerte; in mancher Hinsicht erwies sich diese Durchmischung der Ebenen als sehr vorteilhaft, weil mehr Verständnis füreinander entstehen konnte oder auch Menschen in leitender Funktion erfuhren, wo „der Schuh drückt“.

Wir sitzen im Kreis und zunächst fragt die Supervisorin reihum, wer ein Anliegen vorbringen möchte. Diese werden dann in Kürze umrissen. Die Definition des Problems obliegt nur der Person, die es vorbringt, nicht der Supervisorin. Manchmal ist ein aktuelles Thema die Fortsetzung einer Problematik, die bereits in einer anderen Sitzung angesprochen worden war. Die Frage der Dringlichkeit ist ausschlaggebend dafür, welche Fälle ausgewählt und besprochen werden, sollten es zu viele Themen für eine Sitzung sein. Je nach Komplexität der Anliegen werden drei oder vier pro Treffen erörtert.

Der zweite Schritt ist die Nachfrage nach Erfahrungen mit letztens vorgestellten Fällen. Nach diesem Feedback wird mit einem neuen Fall begonnen: Die betreffende Person erzählt, ohne dass sie von den anderen TeilnehmerInnen unterbrochen wird. Nach dem Ende des Berichts tauchen meist zu einzelnen Punkten Verständnisfragen auf. Sind diese geklärt, stellen Supervisorin oder andere TeilnehmerInnen Fragen, die auf andere Ebenen zielen, wie dies bereits oben dargestellt wurde. Häufig wird der/die SupervisandIn gefragt, wie er oder sie sich in der beschriebenen Situation gefühlt hat. Oder unterschiedliche Elemente – z. B. emotionale Anteile und Gegebenheiten – werden herausgeschält. Persönliche Beobachtungen können geäußert werden; manchmal ist der betreffende Schüler anderen TeilnehmerInnen aus einem anderen Fach bekannt. Sachinformationen z. B. aus der Entwicklungspsychologie können das Gespräch ergänzen oder jemand schlägt einen Lösungsansatz vor.

Durch diese Bearbeitung weitet sich der Kontext der Situation, eigenes Verhalten kann reflektiert und Alternativen können zugelassen werden. „Dabei geht es nicht um die bessere Idee oder die Lösung. Ob ein Vorschlag hilfreich ist, kann ohnehin nur der Supervisand entscheiden.“6

Es ist immer wieder verblüffend, wie der Blick auf eine Situation an Klarheit gewinnen kann, wenn der Raum zum Nachdenken und -spüren gewährt wird und kein situativer Handlungs- und Zeitdruck die Dynamik bestimmt.

Ängste und Vorbehalte gegenüber Supervision

Es gibt zahlreiche KollegInnen, die Supervision für völlig überflüssig halten oder deren Angst und Abwehr die eventuelle Neugierde dominiert. Das Eingeständnis, dass nicht immer alles bestens läuft, fällt vielen schwer. Auch ist es weitaus einfacher zu jammern, als den ersten Schritt in Richtung auf eine Veränderung hin zu tun. So bekam ich, nachdem ich die Supervisionsgruppe angeregt hatte, von einem Kollegen zu hören, ich müsse ja wohl große Probleme haben, wenn ich so etwas einführen wolle. Die Angst vor einem Gesichtsverlust, wenn man Unzulänglichkeiten zugibt oder sich zu Problemen bekennt, ist weit verbreitet. Auch wird befürchtet, das Gespräch könne einem zu nahe gehen. Wenn ich von unserer Gruppe ausgehe, in der Männer deutlich unterrepräsentiert sind, scheinen Frauen in diesem Punkt mutiger und offener zu sein. Dabei wird übersehen, dass die Regeln einer Supervision verhandelbar sind. Jede/r SupervisandIn kann selbst steuern, ob er oder sie etwas einbringen oder nur zuhören möchte. Auch der Grad des Sich-Einlassens bei der Besprechung eines eigenen Falles liegt im Ermessen des Supervisanden; ob und welche Konsequenzen in der Praxis gezogen werden sowieso.

Auch sollte klar sein, dass in der Supervision keinesfalls über abwesende KollegInnen „getratscht“ wird und dass die Schweigeverpflichtung eingehalten wird.

Beispiel: Entstehung und Entwicklung der Supervisionsgruppe in Mannheim

Als ich in einer Personalversammlung anregte, an unserer Musikschule eine Supervisionsgruppe einzurichten, fand dieser Vorschlag sofort die Unterstützung des damaligen Schulleiters und hatte damit gute Chancen, verwirklicht zu werden. Nach einer konstituierenden Phase, in der vor allem eine Kollegin, die als Musiktherapeutin und Instrumentallehrerin tätig ist, ihre Fachkenntnis und Kontakte einbrachte, etablierte sich eine Gruppe. Wir konnten als Supervisorin eine ehemalige Kollegin gewinnen, die ebenfalls als Musiktherapeutin und Instrumentallehrerin tätig gewesen war. Ihr Honorar wird teils über das Fortbildungsbudget, teils durch Beiträge der TeilnehmerInnen finanziert.

Unsere Gruppe begann als Fallsupervision, aber im Lauf der Zeit kamen auch andere Themen auf. Oft ergab sich anlässlich einer vorgestellten Situation Interesse an allgemeineren Fragestellungen: ausgewählte Aspekte der Entwicklungspsychologie oder der Umgang mit „Scheidungs-Kindern“ aus gerade entstandenen Ein-Elternfamilien wurden besprochen. Geplant ist die Beschäftigung mit Legasthenie und der damit einhergehenden Rhythmusschwäche.

Belastende Situationen, die nicht ursächlich mit dem Unterricht zusammenhängen, wurden im Lauf der Jahre zunehmend thematisiert: die Frustration und Arbeitsüberlastung im Zusammenhang mit dem „Ferienüberhang“; die schwierige Abgrenzung von der Arbeit und der Institution Musikschule. Exkurse zu unserer eigenen musikalischen Geschichte ergaben sich: Welche Erfahrungen haben wir selbst beim Erlernen unserer Instrumente gemacht? Welche Haltungen, Ziele, Methoden oder Erwartungen haben wir eventuell unreflektiert in den Unterricht übernommen?

Inzwischen hat sich noch eine weitere Gruppe im Rhein-Neckar-Raum zusammengefunden, die hauptsächlich aus Berufsanfängerinnen besteht.

Themenbeispiele

Es gibt zwei große Themenbereiche in einer Supervision für Musik(hoch)schullehrerInnen: die direkt aus dem Unterricht resultierenden Fragen und die im Allgemeinen mit der Rolle des Musiklehrers zusammenhängenden Schwierigkeiten. „Themen von Supervisionsgruppen sind immer wieder Kommunikations- und Rollenprobleme, Schwierigkeiten mit Vorgesetzten, Hierarchien, Stressbewältigung, konkrete Auseinandersetzungen mit SchülerInnen, manchmal auch familiäre oder private Probleme, die den Arbeitsalltag belasten.“7 Zunächst einige Beispiele aus dem Unterricht:

Ein noch recht junges Kind lernt Trompete und soll einige Zeit auf dem Mundstück den Ansatz üben. Es verliert völlig das Interesse an dem eben erst gewählten Instrument. Hilfreich ist es in diesem Fall zu wissen, dass Kinder in einem bestimmten Alter mit ganzen Dingen zu tun haben möchten. Teile des Instruments lassen dem Kind das Instrument kaputt erscheinen. Wie anziehend ist doch eine Trompete und wie unscheinbar das losgelöste Mundstück!

Eng verknüpft mit dem Thema Motivation ist die Frage nach dem Üben. Was ist ausschlaggebend dafür, dass ein/e SchülerIn übt oder nicht? Welche Hilfestellungen kann ich geben? Wie gestalte ich Stunden, für die nichts vorbereitet wurde? Wie viel Nicht-Engagement auf der Schülerseite muss ein Lehrer oder eine Lehrerin aushalten?

Eine ca. 16-jährige Schülerin von mir versuchte im Unterricht die Beschäftigung mit Etüden möglichst über die ganze Stunde auszudehnen; um die Arbeit an inhaltsreicheren Musikstücken machte sie am liebsten einen Bogen. In der Supervision begriff ich, dass Etüden als emotional neutrales Gebiet für sie ein sicheres Terrain waren, während sie sich vor musikalischem Ausdruck – in meiner Gegenwart? – scheute. Hierdurch verstand ich die Hintergründe ihrer „Wahl“ besser und konnte diese eher akzeptieren. Sicher waren noch andere Einflüsse beteiligt, doch trug auch meine veränderte Erwartungshaltung dazu bei, dass sich das Problem bald auflöste. Inzwischen hat die Schülerin eine musikalische Aufnahmeprüfung mit Erfolg bestanden.

Eine weitere konfliktreiche Unterrichtssituation kann entstehen, wenn unterschiedliche „Zeittypen“ aufeinandertreffen. Dabei kann es sich um unterschiedliche Lerntempi innerhalb einer Gruppe handeln oder um verschieden schnelle bzw. langsame Mentalitäts- und Auffassungstypen auf Lehrer- bzw. Schülerseite.

Ein Schüler braucht immer gut zehn Minuten, bis er die Jacke ausgezogen, Instrument und Noten ausgepackt, das Instrument zusammengebaut hat, beim Notenständer angekommen ist. Dann ist ein Drittel oder gar die Hälfte der 25-Minuten-Stunde verstrichen. Ist das nun eine Vermeidungsstrategie oder ist der Schüler eventuell ein „Adagiotyp“, wie ihn Sten Nadolny in seinem Buch Die Entdeckung der Langsamkeit mit der Person des Entdeckers John Franklin beschreibt? Sollte letzteres zutreffen, müsste er eben zehn Minuten vor dem eigentlichen Unterrichtsbeginn anwesend sein; stellt sein Verhalten jedoch eine Verzögerungstaktik dar, um den Unterricht zu verkürzen oder wenigstens hinauszuschieben, wird er meine Maßnahme zu vereiteln wissen, indem er dann andere Mittel findet, z. B. ausführlich von der Schule berichten zu wollen. In diesem Zusammenhang sollte auch Unter- bzw. Überforderung durch die jeweiligen Temperamentsunterschiede reflektiert werden.

Die Themenbeispiele aus dem Unterricht lassen sich beliebig fortsetzen. Hier noch einige Stichworte:

– Ein Nachdenken über verschiedene Unterrichtsstile kann z. B. anlässlich von Umstellungsschwierigkeiten nach einem Lehrerwechsel sinnvoll sein.

– Der Gruppenunterricht mit seiner speziellen Problematik und Dynamik bietet immer wieder Anlässe, in denen der/die LehrerIn gefordert bis überfordert ist.

– Verhaltensauffälligkeiten (z. B. permanent störende oder hyperaktive Kinder) oder Legasthenie sind Themen, in denen nicht nur das Gespräch, sondern auch psychologische Information weiterhelfen kann.

Wenden wir uns nun den beruflichen Beziehungen zu, die zu KollegInnen, Vorgesetzten, VerwaltungsmitarbeiterInnen, Hausmeistern und Eltern bestehen. Auch hier gibt es oft Konfliktstoff, Ohnmachtsgefühle und Stress verschiedenster Art. Der Kontakt spielt sich in der Regel auf der Gesprächsebene ab. Die belastende Situation ist durch tatsächliche oder vermeintliche Meinungsverschiedenheiten entstanden oder auch durch ein nicht geführtes Gespräch. Reduzieren lassen sich die meisten derartigen Konflikte auf eine zumindest von einer Seite als nicht gelungen empfundene Kommunikation.

Auch im Nachhinein besteht die Möglichkeit, durch Verständnis des Erlebten Stress oder Ärger über diesen Umgang miteinander abzubauen und aus einem solchen Gespräch zu lernen. Es ist aufschlussreich, den Punkt oder die Ebenen des Unbehagens oder gar Missglückens herauszufinden. Folgende Aspekte können einen Gesprächsverlauf beeinflussen: Wie ist der Rahmen der Unterhaltung? Welche Gesprächsatmosphäre bestimmt die Situation? Herrscht ein bestimmter Gesprächsstil vor? Hört man einander zu, lässt sich ausreden? Welche Rolle spielen Missverständnisse? Wird nachgefragt oder etwas wiederholt, wenn man sich nicht ganz sicher ist, den/die andere/n richtig verstanden zu haben? Wie klar drücke ich mich selbst aus? Welche Rolle spielt die nonverbale Kommunikation? Ist Abwertung oder Provokation im Spiel? Wo hätte ich einhaken müssen und kann das vielleicht noch nachholen? Wo sind wesentliche Dinge unklar geblieben?

Manche bevorstehenden Gespräche lassen sich in der Supervision vorbereiten oder auch im Rollenspiel üben. So kann man erlernen, wie man sich besser gegen Überrumpelung wappnet, indem man z. B. um Bedenkzeit bittet. Wer kennt die Situation nicht, dass Eltern beim Abholen ihrer Kinder eine grundsätzliche oder auch nur komplizierte Sache besprechen wollen, während der nächste Schüler bereits wartet? Solche manchmal fast überfallartigen Gespräche können auf einen besseren Zeitpunkt vertagt werden. Ein Mittel, um Missverständnissen in wichtigen Punkten vorzubeugen, ist es, das zu wiederholen, was man verstanden zu haben glaubt. Wie auch in anderen Situationen gilt auch hier: je klarer einem ist, was in einem Gespräch abläuft, desto mehr Spielraum entsteht.

Wie findet man eine/n geeignete/n SupervisorIn?

Sollten Sie eine Supervisionsgruppe einrichten wollen, stellt sich die Frage nach einer geeigneten Leitung. Die Deutsche Gesellschaft für Supervision (DGSv) ist ein Fachverband, der seit 1989 besteht und mit Adressen von SupervisorInnen, die Mitglied sind, behilflich ist. Die DGSv zählt ca. 2000 Mitglieder und bemüht sich um Qualitätssicherung durch die Festlegung von Standards. Dies ist sehr wichtig, da die Bezeichnung Supervisor/in nicht geschützt ist.

SupervisorInnen haben oft ein Studium der Psychologie, Pädagogik oder Sozialpädagogik absolviert und eine Zusatzausbildung angeschlossen. Etwa 60 Prozent der SupervisorInnen sind Frauen. Für die Leitung einer Supervisionsgruppe an der Musik(hoch)schule scheint mir ein musikalischer Hintergrund, im günstigsten Fall auch eigene Unterrichtserfahrung notwendig zu sein.

Supervision für (Musikschul)lehrerInnen ist natürlich kein Muss, aber eventuell eine große Hilfe und Entlastung und sicherlich eine Bereicherung. Sie wird meines Wissens in unserem Beruf noch kaum genutzt. Das Angebot der Landesmusikakademie Berlin scheint eines der ersten in dieser Richtung zu sein. Das letzte Wort soll eine Mannheimer Kollegin haben: „Durch die Supervision habe ich meinen Beruf erst richtig erlernt.“

Mein besonderer Dank gilt meiner Kollegin Dagmar Sinkwitz (Kinder- und Jugendtherapeutin sowie Blockflötenlehrerin an der Musikschule Mannheim) für ihre fachliche Unterstützung und all denen, die mit ihren Kommentaren diesen Artikel bereichert haben.

1 Mia Esche-Dolfus-Mindak: „Und was ist eigentlich ,Supervision‘?“, in: Frankfurter Rundschau, 27. 4. 1996, S. ZB 5

2 Beate West-Leuer: „Supervision. Grundlage und Förderung professioneller Standards für eine gute Schule“, in: Pädagogik und Schulalltag, 1995, 50 (4), S. 553-560

3 Hans-Peter De Lorent und Sondra Czarnecki: „Supervision – Nachdenken über den Arbeitsplatz Schule“, in: Pädagogik, 1995, 47(9), S. 33 f.

4 ebd.

5 Gisela Pettersson: „ ,Ich brauche jemand, der mir den Rücken stärkt‘. Supervision im Berufsalltag“, in: Frankfurter Rundschau, 27. April 1996, S. ZB 5

6 De Lorent/Czarnecki

7 ebd.

Diese Ausgabe ist leider nicht mehr beim Verlag erhältlich.