Gagel, Reinhard

Tagträume und Nachtmahre

Neun Klangbilder für Klavier mit Materialien zum Improvi­sieren, mit CD

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2011
erschienen in: üben & musizieren 6/2011 , Seite 62

„Tagträume und Nachtmahre bietet dir Materialien zum Spielen, Selbsterfinden und Improvisieren“, so Reinhard Gagel im Vorwort. Den neun kleinen Klavierstücken folgen jeweils Übungen. Das Material ist vornehmlich dazu bestimmt, genaues Zuhören zu fördern sowie Anregungen zu farbiger, abwechslungsreicher Gestaltung zu vermitteln. Der Tonsatz ist partiell in herkömmlicher, genau fixierter Notation gehalten, teilweise aber auch in freierer Form durch aleatorische Elemente bereichert.
Tagtraum, das erste Stück, möge als Beispiel dienen. Es beginnt „langsam“ und „senza misura“ mit einfachen, langen Zusammen­klängen ohne fixierte Dauern; Anweisungen wie „zart“, „con pedale“, „espressivo“, „molto legato“, „poco cresc.“ bieten variable Gestaltungsmöglichkeiten. Es folgt ein zweitaktiger Abschnitt „subito f“, der „misurato“ – in festgelegten Notenwerten – zu spielen ist. Nach einem weiteren kurzen „senza misura“-Teilstück mit dem Zusatz „ziellos“ folgt ein kurzer, genau festgelegter Passus, der das Stück im Forte enden lässt.
Wie auch andere Sätze bietet Tagtraum Gelegenheit, verschiedene Möglichkeiten des Pedalspiels zu finden, besonders wenn die Anweisung „con pedale“ lautet, die unterschiedliche Anwendungen herausfordert. Da das Stück leicht und kurz ist, kann man gut Klänge ausprobieren und sich auf genaues Zuhören konzentrieren.
Zum Improvisieren macht Gagel durch Notenbeispiele ergänzte Vorschläge wie z. B.: „Spiele die Intervalle der linken Hand genau hörend langsam hintereinander. Lerne sie als Ostinato auswendig. Wenn du das kannst, beginne, in der rechten Hand Melodien zu diesem Ostinato zu erfinden, die sich ,wie im Traum‘ anhören. Nutze dazu die vorgeschlagenen Töne.“ Auf einer CD sind sowohl die Stücke als auch die vorgeschlagenen Übungen eingespielt und liefern Eindrü­cke und Anregungen für die häusliche Arbeit am Instrument.
Neben Anregungen zur Improvisation vermittelt Gagel behutsam eine Einführung in einige Besonderheiten zeitgenössischer Notation und deren Umsetzung am Instrument. Die Prob­leme werden unaufdringlich im Rahmen einzelner Stücke bzw. Übungen als natürlicher Bestandteil des Klavierspiels angesprochen. So werden in Nr. 2 Cluster mit den Fingern auf weißen und schwarzen Tasten eingeführt, in Nr. 9 solche „mit Faust, Arm oder Hand“ angeboten. Am Ende von Nr. 3 werden sogar Tontrauben angeschlagen, aus denen Klänge durch Abheben einzelner Finger herauszufiltern sind. In einer Übung zu Nr. 5 wird die Dauer von Tönen durch waagerechte Linien dargestellt, wie es z. B. Lachenmann in seinem Zyklus Ein Kinderspiel überzeugend getan hat.
Reinhard Gagel hat eine für Lehrende und Lernende interessante Publikation geschaffen. Das Heft gibt wertvolle Anregungen zur Improvisation sowie zur Beschäftigung mit zeitgenössischer Klaviermusik.
Peter Roggenkamp