Steenhoven, Karel van

The Fugitive

Jazzy Fugue für Blockflötenquartett (wechselnde Besetzung S/A/T/B), Partitur und Stimmen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2010
erschienen in: üben & musizieren 6/2010 , Seite 63

The Fugitive (der Flüchtling), so hat der niederländische Blockflötist und Komponist Karel van Steenhoven (geboren 1958) dieses Stück betitelt – und weist damit gleichzeitig auf die Form desselbigen hin, die nämlich aus einer Fuge besteht.
Die Fuge ist dreistimmig, jedoch für vier Blockflöten geschrieben: Sopran, Alt und Tenor befassen sich ausschließlich mit dem Fugenthema, dessen sich wandelnden Gestalten sowie verschiedenen Kontrapunkten, während der Bass (Basset in F) zwar auch gelegentlich mit dem Thema oder einzelnen Motiven daraus liebäugelt, im Großen und Ganzen jedoch als Walking-Bass unter dem Rest einhermarschiert. Daraus lässt sich die stilistische Ausrichtung des Stücks schon ersehen: Bebop.
Und so sollen denn die Achtel (so nicht gegenteilig gekennzeichnet) der Duces, Comes, der Umkehrungen, Augmentationen und Stretti auch durchgängig im Swing-Rhythmus interpretiert werden. Die Partitur verlangt mehrfach verschmierte Übergänge oder Glissandi zwischen einzelnen Tönen und gerade den solistisch geprägten Passagen bekommt es gut, wenn man sie rhythmisch ein wenig freier nimmt als notiert.
Ja, der Rhythmus: Allein der macht schon klar, dass dieses Stück nicht für AnfängerInnen komponiert wurde. Steenhoven, Professor für Blockflöte an der Musikhochschule Karlsruhe, dürfte hinsichtlich des Niveaus eher an seine Studierenden gedacht haben: Häufiger Wechsel von Duolen und Triolen, Synkopen, soweit das Auge reicht, sowie ständige Taktwechsel – alles, wohlgemerkt, in fröhlichem Swing zu spielen! – verlangen durchaus routinierte Notenleser. Auch vom Ambitus reizt das Stück die Möglichkeiten seiner Instrumente recht weit aus und beschreitet außerdem hinsichtlich der Vorzeichen auch mal ungewöhnlichere Wege. Nicht gering aber ist vor allem der technische Anspruch. Möchte man bezüglich des Tempos dabei den Angaben des Komponisten (Viertel = 138-192!) entsprechen, muss man schon ausgesprochen flinke Finger besitzen.
Harmonisch betrachtet steht The Fugitive in einer Art g-Moll, das jedoch ständig jazzartig changiert, von Dissonanzen, gerade in der Engführung oder Stretta am Schluss gar von clustermäßigen Klängen durchsetzt wird. Und ein bisschen James Bond kommt zwischendrin auch noch vor…
Die Ausgabe enthält genaue Anweisungen zu Artikulation und teils auch Phrasierung, Dynamik und speziellen Klangfarben. Partitur und Stimmen sind klar gedruckt, mit günstigen Wendestellen. Im Vorwort wird die Möglichkeit erwähnt, das Stück mit Alt-, Tenor-, Basset- und Sub-Bass-Flöten zu interpretieren; eine transponierte Stimme für die Tenorflöte liegt dem Paket bei.
Insgesamt handelt es sich um ein witziges, wenn auch beim ersten Hören nicht leicht eingängiges Blockflötenwerk, das – im Tempo gespielt – auf jeden Fall ein sehr fortgeschrittenes und gut aufeinander eingespieltes Quartett verlangt.
Andrea Braun