Coleridge-Taylor, Samuel

Three Cameos op. 56

for solo piano

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2022
erschienen in: üben & musizieren 3/2023 , Seite 60

Samuel Coleridge-Taylor wurde 1875 in London geboren und wuchs, nachdem der aus Sierra Leone stammende Vater vor der Geburt seines Sohnes England verließ, bei seiner Mutter und seinem Großvater in Croydon auf. Sein Großvater unterrichtete den Jungen zunächst selbst im Geigenspiel und sorgte dann für professionellen Unterricht, bereits im Alter von acht Jahren trat Samuel Coleridge-Taylor erstmals öffentlich als Geiger auf. Er erhielt mit 15 Jahren ein Stipendium, um am Royal College bei Charles Villiers Stanford zu studieren.
1899 heiratete Coleridge-Taylor seine Kommilitonin Jessie Walmisley, die er am Royal College kennengelernt hatte. Aus dieser Ehe gingen zwei Kinder hervor, die beide ebenfalls Musiker wurden. Coleridge-Taylor, der als Komponist zunehmend international bekannt wurde, setzte sich zugleich verstärkt mit seiner väterlichen Abstammung auseinander. Das Jahr 1904, in dem auch seine vorliegende Komposition entstand, war für ihn ein bedeutungsvolles Jahr. So wurde er auf seiner ersten Amerikareise von Theodore Roosevelt empfangen und bei seiner Rückkehr nach England zum Dirigenten der Handel Society ernannt.
Coleridge-Taylor beschrieb sich selbst als Anglo-Afrikaner und war während seiner gesamten Karriere mit Rassismus konfrontiert. Trotz dieses Vorurteils und seines tragisch frühen Todes im Alter von nur 37 Jahren wurde seine Musik vor dem Zweiten Weltkrieg regelmäßig in England aufgeführt, beispielsweise bei den Proms.
Samuel Coleridge-Taylor wählte für sein vorliegendes Werk, das eine Dauer von ungefähr zwölf Minuten hat, einen außergewöhnlichen Titel. Cameo ist die Bezeichnung für eine kunstvolle Gravur, die als erhabenes Relief aus einem Schmuckstein herausgearbeitet wurde. Auch Coleridge-Taylor hat mit seinen drei Cameos kleine Kunstwerke erschaffen, die jedes für sich unverwechselbar gestaltet sind. Das erste Stück, Allegro ma non troppo, beginnt schwungvoll mit seinem durch Akzente klar markierten synkopierten Rhythmus. Auch im akkordlastigen Mittelteil treiben die Synkopen das Geschehen voran. Immer wieder läuft die Musik im rallentando oder ritardando aus, bevor sie wieder schwungvoll a tempo beginnt. Das Stück endet immer leiser werdend im morendo.
Das zweite Cameo ist mit der Vortragsbezeichnung Allegro moderato lebhaft und beinahe spielerisch. Häufige Wechsel von Tempo und Metrum sowie agogische Momente treiben die Komposition voran. Auch dieses Stück verklingt schließlich genauso geheimnisvoll wie das erste. Das dritte Stück, Andante, hat trotz seines langsamen Tempos einen tänzerischen Charakter. Zu Anfang noch in Moll, wendet sich der Satz zum Ende hin nach Dur. Die Coda am Schluss ist durchgängig im dreifachen Pianissimo gehalten, ein lusingando als Vortragsbezeichnung im Notentext sorgt für die passende Umschreibung.
Coleridge-Taylors Werk offenbart die Kunstfertigkeit eines Komponisten, der hierzulande (noch) weitgehend unbekannt ist.
Mano Eßwein