Pecher-Havers, Katharina (Hg.)
Umbrüche und Kontinuitäten
Themenfelder der Musikpädagogik aus historischer Perspektive
Die Beiträge des Sammelbands entstanden für die neunte Tagung der MFÖ – Musikpädagogische Forschung Österreich. Das Vorwort beginnt mit einem Hinweis auf Hermann J. Kaisers Feststellung aus dem Jahr 2015, wonach eine Geschichtsschreibung nicht mehr haltbar sei, die die Entwicklung des Fachs als eine sukzessive Abfolge „jeweils vorherrschende[r] Paradigmen“ beschreibe. Angemessener sei die Darstellung „von unabhängig voneinander existierenden Denkstilen“, die mitunter gleichzeitig nebeneinander existierten.
Solchen Denkstilen der (jüngeren) Fachgeschichte wird hier nachgespürt. Es soll sichtbar werden, welche dieser Denkstile sich in den schließlich realisierten Studienangeboten, Unterrichtspraxen etc. tatsächlich durchgesetzt haben. Dieses Vorgehen wird geschichtstheoretisch unterfüttert mit einem Hinweis auf Albrecht Koschorkes Studie Wahrheit und Erfindung von 2012. Koschorke sieht in rückblickenden Beschreibungen vermeintlich einflussreicher Denkstile letztlich vor allem Erzählungen, das heißt Konstruktionen, die mehr über die Gegenwart als über die erforschte Geschichte selbst aussagten. Illustriert wird dies anhand einer Publikation der Arbeitsgemeinschaft der Musikerzieher Österreichs (AGMÖ) zu deren 75-Jahr-Jubiläum aus dem Jahr 2022. In dieser wird die Unterrichtsgestaltung in Österreich als direktes Ergebnis der Verbandsarbeit dargestellt. So würde eine „Vorstellung von der Macht des Fachverbandes“ konstruiert.
Dieser geschichtstheoretisch inspirierte Beginn ist spannend und die dadurch geweckten Erwartungen werden eingelöst. Dies gilt für alle Beiträge, die von Fritz Höfer, Anna Maria Kalcher, Katharina Pecher-Havers, Bernhard Gritsch und vom Autorinnen- und Autorenkollektiv um Georg Brunner, Ilona Weyrausch, Gabriele Schellberg, Andreas Bernhofer und Sabine Mommartz stammen. Stellvertretend sei hier genauer auf Michaela Schwarzbauers Bericht zu neuen Erwartungen an musikalisches Lehren und Lernen am Beginn der 1980er Jahre verwiesen, beginnend mit der Aufnahme der Lehrtätigkeit Wolfgang Roschers und Rudolf Nykrins, beide in Deutschland ausgebildet, in Salzburg im Studienjahr 1981/82. Darauf aufbauend werden unterschiedliche musikpädagogische bzw. -erzieherische Denkstile in der deutschen und österreichischen Fachcommunity der 80er Jahre beschrieben. Im Blick auf den Umgang mit musischen Ansätzen vergangener Zeiten kann die Autorin schließlich ein „frappante[s] Auseinanderklaffen des deutschen und österreichischen Wegs“ feststellen. Dieser historische Befund wird mittels der soziologischen Analysen zur „Erlebnisgesellschaft“ von Gerhard Schulze weiter vertieft. Dieser Forschungsweg überzeugt. Der Sammelband gibt mit diesem und weiteren Beiträgen einen inhaltlich und methodisch interessanten Einblick in die Erforschung jüngerer Fachgeschichte.
Matthias Goebel